schaftliches Temperament riß alle Schranken nieder, unaus¬
löschliche Rachsucht erfüllte ihren Sinn; „eine Rache von hun¬
dert Jahren hat noch Milchzähne/' war ein Sprüchwort, den
Gegner aus dem Wege zu räumen galt jedes Mittel als er¬
laubt; dem offenen Kampf mit dem Schwerte wurde oft der
Dolch vorgezogen, welcher heimlich und von dem sicheren
Versteck aus seine Arbeit that; „eine vollbrachte That hat
immer Verstand" war der Grundsatz, nach welchem gehandelt
wurde. Nur für kurze Zeit trat in den Städten der Lom-
baitei ein Stillstand ein. Das war, als der merkwürdige
Johannes von Vicenza herumzog. Als der Sohn eines Rechts¬
gelehrten war er Dominikaner geworden; bald gab es keinen,
der ihm an Frömmigkeit gleich kam. Mehr aber noch, als
durch diese Tugend, wurde er durch seine Beredsamkeit be¬
rühmt. Wie später der Römer Cola bi Rienzi und der
Florentiner Girolamo Savanarola, riß er die Gemüther hin;
nirgends ist ja die Gewalt, welche der begabte Redner ausübt,
größer als in den südlichen Ländern, besonders in Italien,
wo außer dem Reize eines edlen Inhalts der Zauber einer
musikalischen Sprache die Sinne der Hörer umfängt; leicht
erregt, wie sein Wesen ist, wird das Volk hier zu wunder¬
barem *thun fortgerissen; oft haben es Redner bewirkt, daß
große Massen von einem Extrem zum andern im Augenblick
übersprangen, von Zuchtlosigkeit zu Gehorsam, von Haß zu
^iebe, von Gleichgültigkeit zu Fanatismus. Johannes war
ein solcher Mann. Von dem Papst, der seine Brauchbarkeit
erkannte, mit umfassenden Vollmachten ausgerüstet, erschien
er in der Lombardei. Sein Ruf versammelte Tausende und
aber lausende; seit Christi Zeit, hieß es, hätte keiner so viele
Zuhörer gehabt. Er predigte gegen Zwietracht und Ketzerei,
gegen Ueppigkeit und Habsucht, und unmittelbar war die
Wirkung: Todfeinde besiegelten ihre Versöhnung durch einen