Treitschke: Friedrich Wilhelm IV. 261
grünen Tisches mit einer Schärfe, die er gegen die Sünden des Adels¬
hochmutes nicht anwandte, und von allen Wissenschaften war ihm wohl
keine innerlich so fremd wie die Rechtswissenschaft, obwohl er den geist¬
vollen, rechtshistorischen Forschungen seines Freundes Savigny mit
Teilnahme folgte. Von der Armee aber ward er durch seine unmilitä¬
rischen Neigungen getrennt. Wohl sprach er mit Stolz von diesem
Heere, „dem ersten der Welt", und versicherte oft: „ich fühle mich ganz
als preußischer Offizier". Auch auf dem Schlachtfelde hatte er sich
unerschrocken gezeigt und einmal im Kugelregen den Offizieren, die ihn
zur Vorsicht mahnten, gleichmütig erwidert: „Was wäre es denn weiter?
Dann würde mein Bruder Wilhelm Kronprinz". Nach dem Kriege führte
er den Oberbefehl über das pommerfche Armeekorps und lernte viel von
seinem geistreichen, militärischen Begleiter, Oberst Schack, dem allzu früh
verstorbenen Liebling Jorks. Gleichwohl merkte man bald, daß die
Pünktlichkeit und das Einerlei des Dienstes dem Prinzen lästig waren.
Offenherzige Generale gestanden, er verstehe mit alten Soldaten nicht
recht umzugehen, und die ihn näher kannten, wußten wohl, daß er den
Krieg verabscheute, daß die Friedensliebe der Hohenzollern diesen Sohn
des Hauses nur allzu stark beherrschte. Mit den Offizieren, die er be¬
vorzugte, mit C. v. Röder, Groben, Willifen, L. v. Gerlach verband ihn
mehr die gemeinsame kirchlich-politische Gesinnung, als die militärische
Kameradschaft.
Friedrich Wilhelm verachtete den bnreaukratischen Zwang, und da er
über die Ängste der Polizei, über die Mißgriffe der Verwaltung sich sehr
freimütig äußerte, so geriet er bei den Halbkundigen leicht in den Ruf
des Liberalismus; sein Oheim, der starre Hochkonservative, Ernst August
von Cnmberland, beschuldigte ihn gar jakobinischer Neigungen. Er selber
war auch keineswegs gemeint, den Strom der Zeit einfach abzudämmen;
vielmehr glaubte er sich berufen, zwischen den beiden extremen Parteien,
welche die Welt erschütterten, weise zu vermitteln und bezeichnete seine
Stellung gern mit dem Ausspruch de Maistres: „Wir wollen weder die
Revolution, noch die Gegenrevolution, sondern das Gegenteil der Revo¬
lution". Gneisenan aber schrieb dem Reichskanzler: „Der Kronprinz
möchte lieber die Gewässer wieder gegen ihre Quellen leiten, als ihren
Lauf in die Ebene regeln". Und sein Feldherrnblick sah schärfer als die
Selbsterkenntnis Friedrich Wilhelms. Die politischen Jdeeen Niebuhrs
und Savignys wurden von dem Prinzen gelehrig aufgenommen, aber
durch die historische Sehnsucht seines erregten Gemütes so lange um¬
gebildet, bis er endlich der liberalen Welt weit ferner stand, als sein
schlichter Vater. Der König hatte sich nicht gescheut, jene „Revolution
im guten Sinne" zu wagen, jene soziale Umwälzung, die mit den ver¬
rufenen „Jdeeen von 1789" doch vieles gemein hatte, und auch jetzt hielt