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Am folgenden Abend war er wieder geladen. Es war sechs Uhr. Die
Fackeln brannten schon. Der bischöfliche Beamte fragte ihn nun, ob er seine
Bücher alle verteidigen oder etliche widerrufen wolle. Da gab Luther aufs
alleruntertänigste, sittig und bescheiden, doch mit großer Freudigkeit Antwort.
Er berief sich auf des Heilands Tun, der doch auch, nachdem man ihn ge¬
schlagen, gesprochen: „Habe ich übel geredet, so beweise es, daß es böse sei", und
erklärte sich bereit, aus Zeuguissen der Schrift sich von jedem, auch dem
Geringsten, eines Bessern belehren zu lassen, sonst könne er nichts widerrufen.
Darauf sagte ihm der kurtrierische Kanzler, man sei nicht hier, um zu
disputieren, sondern kurz und rund seine Antwort zuhören, ob er widerrufen
wolle oder nicht; da hob sich Luthers Stimme mächtig zu den Worten: „Weil
denn Eure Kaiserliche Majestät und Gnaden eine schlichte, einfältige Antwort
begehren, so will ich eine geben, die weder Hörner noch Zähne hat, dermaßen:
Es sei denn, daß ich mit Zeugnissen der Schrift oder mit
hellen und klaren Gründen überwunden und überwiesen
werde, so kann und will ich nichts widerrufen, weil es weder
sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun.
Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen."
War Luther am ersten Tage noch schlichtem gewesen und voin Anblick
der Großen und Gewaltigen beengt — heute war ihm alle Schüchternheit
von der Seele genommen. Man hatte den Eindruck, daß nicht Luther vor
dem Reichstage, sondern vielmehr der Reichstag vor Luther staud, vor dem
Geist der himmlischen Wahrheit, der aus ihm redete. — „Ich war uner¬
schrocken und fürchtete mich nicht. Gott kann einen wohl so toll machen,"
sagte später Luther in der Erinnerung jener Tage; „wenn ich tausend Köpfe
hätte, wollte ich sie mir eher abhauen lassen als widerrufen."
Luther wurde von zwei Rittern aus dem Saal geführt. Mächtig war
der Eindruck auf die Fürsten des Reichs. Kurfürst Friedrich sagte zu seinem
Kanzler: „O wie schön und kühn hat heute Bruder Martin vor Kaiser und
Reich geredet." Herzog Erich von Braunschweig faubte ihm zur Erquickung
eine silberne Kanne mit Eimbecker Bier. Luther ließ ihm darauf sagen:
„Wie Herzog Erich meiner gedacht hat, so gedenke seiner unser Herr Jesus
Christus in seinem letzten Kampfe."
Noch allerlei Versuche wurden gemacht, Luther zum Widerruf zu bewegen,
und namentlich ließ es der milde Erzbischof von Trier nicht an Vorstellungen
fehlen. Schließlich aber sagte Luther: „Hier ist nicht zu raten und zu helfen,
sondern gilt nur Gamaliels Rat: Ist das Wort ein Menschenwort, so wird es
nicht über zwei oder drei Jahre währen. Ist aber die Sache aus Gott, so
Wird man sie nicht können dämpfen." Nach Emil Frommel. (Lutherbüchlein.)