Full text: Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs

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206. Die Jahre 1816 und 1817. 
Der Frühling des Jahrs 1816 kündigte sich mit heftigen Regen¬ 
güssen an, welche mit schanerlichen Gewittern und Hagel, bei em- i 
pkindlicher Kälte, den ganzen Sommer hindurch fortdauerten. Hatte 
diese ungünstige Witterung zur Folge, daß fast sein Gewächs der 
Erde zu seiner völligen Reife gelangte, so konnten noch dazu viele 
Früchte wegen des frühe fallenden Schnees nicht einmal eingeheimst 
werden. Auf der Alb vermoderten zwei Dritttheile der Haberernte \ 
unter Eis und Schnee. Das Getreide war kern - und mehlarm und 
hatte keine nährende Kraft; die Kartoffeln, die Hauptnahrung der 
ärmeren Leute, schlugen auf nie erhörte Weise fehl; die Trauben j 
kamen nicht zur Zeitigung; die Futterkräuter, vou der Nässe ver¬ 
dorben, gaben auch dem Vieh schlechte und sogar schädliche Nahrung. 
Das Vieh wurde deßwegen mager und häufig krank, und bald hatte 
man auch kein gutes Fleisch mehr. 
So stieg in kurzer Zeit das Elend zu einer furchtbaren Höhe; 
eine unerhörte Theurung aller Lebensmittel trat ein. Völlig unge¬ 
nießbarer Wein kostete siebzig bis achtzig Gulden der Eimer, ein 
mittlerer hundert und fünfzig und ein guter zweihundert und fünfzig 
Gulden. Der Scheffel Dinkel wurde zu Tübingen für vierzig Gulden, 
die Gerste zu sechs ltub sechzig Gulden, der Scheffel Kernen zu Ried¬ 
lingen für vier und achtzig, zu Göppingen für ein und neunzig, zu 
Metzingen für sechs und neunzig Gulden verkauft. Der achtpfündige 
Laib Brod kostete zu Tübingen zwei Gulden und sechzehn Kreuzer, 
das Pfund Butter galt dreißig bis vierzig Kreuzer, ein junges Huhn 
acht und vierzig Kreuzer, ein Pfund Rindfleisch siebzehn Kreuzer, 
ein Ei zwei bis dritthalb Kreuzer, das Simri Kartoffeln vier 
Gulden, das Pfund Mehl kostete mehr als ein Pfund Zucker. An 
Brod von Kleie und Mehlstaub, oft sogar mit gemahlenem Stroh 1 
und Sägspänen vermischt, waren die Armen noch froh; sie nahmen ! 
ihre Zuflucht zu Gras, Klee, Wurzeln und Heu; auch Pferdefleisch ! 
wurde gegessen; bei Rottweil sollen die Pferde auf Angern wieder 
ausgegraben und verzehrt worden sein. ) 
Die Menschen wandelten wie Leichen umher; Hausen von Kin¬ 
dern schrieen nach Brod. Viele raffte der langsame Hungertod hin¬ 
weg. Die Verzweiflung trieb manches ehrlichen Hausvater zum Dieb¬ 
stahl. Die Regierung that, was sie konnte, um dem Jammer zu 
steuern. Eine strenge Sperre verhinderte jede Ausfuhr von Lebens- j
	        
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