16. Ruanda.
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offenbar [törten diese Volksmassen nach Msingas Ansicht die Wirkung seines Au-
Marsches, denn plötzlich erschienen zwei in rote Toga gehüllte Gestalten und wirbelten
in nicht mißzuverstehender Absicht ihre langen Stäbe imt den Kopf, starr auf das
Menschenknäuel blickend. Dann sausteu die Stäbe mit voller Gewalt krachend und
rücksichtslos in das Menschengewühl hinein. Aber der Volkshaufe kannte äugen-
scheinlich dies Manöver schon, denn in dem Augenblick, als die Stockträger schwnng-
holend ihre Waffe über die Köpfe erhoben, stob der ganze Haufe in wilder Flucht
davon, so daß nur noch einige Nachzügler gesoffen wurden. Augenblicklich war der
Platz leer. Einige wiederkehrende Neugierige wurden mit Steinwürfen verscheucht.
Gleich darauf ertönten Trommelwirbel aus dem Palast. Und nun erlebten wir
ein Schauspiel so voll echter Ursprünglichkeit und Originalität, wie man es nur noch
hier, fernab vom allgemeinen Pfad der Reisenden, erleben konnte. Paarweise, in
feierlicher Ruhe schritten die Prachtgestalten der Ruandafürsten mit ihren Söhnen
voran. Die Sänfte Msingas, die eben das Tor der Residenz verließ, folgte langsam.
Alle trugen Festtracht, dieselbe, in der Nanturu und Bnssifsi sich gezeigt hatten. Der
Körper ist nackt. Nur die Hüsten umschlingt ein schmaler, in zwei Querfalten gelegter
Schurz aus gegerbter Rindshaut, von der viele Schnüre aus Otter- oder Rinderfell
bis zu den mit vielen Drahtringen geschmückten Knöcheln herabhängen. Über den
Kopf läuft ein Haarkamm von Ohr zu Ohr, in dem eine dünne Perlenkette glänzt.
Um den Hals hängt bis auf die Brust herab eine Fülle gelber Schnüre aus Bananen-
bast, an denen Perlenschmuck verschiedenster Größe, Mitako genannt, befestigt ist.
Armbänder aus Kupferdraht und bunten Perlen umschließen die Handgelenke. So
bewegte sich der Zug gemessenen Schrittes in vornehmer Ruhe auf mein Zelt zu.
Die dem Sultan zustehende Wache der Expeditionstruppe, ein Schauschi und zwei
Mann, trat ins Gewehr. Des Sultans Sänfte, ein langer, einfacher Korb, dessen
Bambusstangen aus den Schultern von Batwaleuten ruhten, wurde vorsichtig herab-
gelassen und mit den deutschen Worten: „Guten Morgen, Euer Hoheit", reichte mir
Msiuga die Hand.
Die Gestalt des Sultans, die infolge seiner bequemen Lebensweise etwas rund-
liche Formen zeigt, überragt ebenfalls die Höhe von 2 m. Man sucht zuerst in seinem
Gesicht vergebens den Ausdruck seiner gepriesenen Intelligenz, auch stören ein Augen-
fehler und stark vorspringende Oberzähne den sonst sympathischen Eindruck. Aber
seine Fragen, die er neben mir im langen Stuhle sitzend an mich und die Umstehenden
richtete, streiften die verschiedensten Interessensphären und gaben Zeugnis von schar-
fem, logischem Denkvermögen.
Nachdem die Unterhaltung in der Sprache der Suaheli sich eine Zeitlang auf
den verschiedensten Gebieten bewegt hatte, bat mich Msinga, seine Geschenke über-
bringen zu dürfen. Dieser Augenblick bedeutete sür den Sultan, seine Freunde so-
wohl wie seine Gegner einen hochpolitischen Akt voll peinlichster Spannung, freilich,
ohne daß ich selbst etwas davon ahnte. Denn es hatte sich das Gerücht verbreitet,
daß die Ablehnung eines Teils der Geschenke meinerseits ein Zeichen sein würde,
daß ich dem Kronprätendenten, einem Verwandten Msingas, zum Throne verhelfen
und den jetzigen „Mann" stürzen wolle.
Eine ungeheure Volksmenge hatte sich daher hinter den Stühlen, auf denen wir
mit dem Sultan Platz genommen hatten, sowie diesen gegenüber aufgestellt, eine
Gasse bildend, und erwartete mit mühsam unterdrückter Erregung das Erscheinen der
1 Schausch — Unteroffizier.