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Mensch auch hier schon Manches nicht mehr pflanzen, was den Bewoh¬
ner der Ebene mit reicher Ernte erfreut, so ist doch dieser Naturgarten
Gottes für ihn ein herzerhebender Ersatz.
Der Inn durchströmt vom bescheidenen Anfänge der Quelle bis in
die Thalsohle hinab, immer mächtiger werdend, das Thal seiner Wiege,
und die reizendsten Seen, wie sie nirgends ein Hochalpthal aufzuweisen
hat, spiegeln in ihrer krystallenen Fluth die schneebedeckten Berge, die
grünen Wälder und die schönen Wohnungen einer Bevölkerung, welche
in allen großen Städten Europa's durch Redlichkeit, Geschicklichkeit und
Arbeitslust bekannt, ein langes freiwilliges Exil aus dem geliebten Heimath-
lande gern erträgt, um den Abend des Lebens dort zu verleben, wo sie
nicht blos der Zauber unübertrefflicher Naturschönheiten hinzieht, sondern
wo sie als Kinder und Knaben geweilt, wo sie ihre Eltern, Verwandte
und Freunde geliebt und geehrt haben, wo der gemeinschaftliche Friedhof
noch die Reste Vieler von denen einschließt, welche ihnen theuer waren
und deren Andenken sie begleitet, bis auch sie einst von ihrem schönen
Alpenthale für immer Abschied nehmen.
Ist zwar scheinbar das Engadin nur ein Theil des großen Jnntha-
les, so ist es doch so bestimmt nach Osten und Westen abgegrenzt, daß die
volle Eigenthümlichkeit der Bevölkerung auch hier im Einklänge mit schroff
scheidenden Naturgrenzen steht. Eine fast senkrechte, 600 Fuß hohe Fels-
mauer, an welche sich das enge Vergelt-Thal anlehnt, sondert das Ober-
Engadin von den lombardischen Nachbarn, und die tiefe schauerliche Schlucht
von Finstermünz am unteren Thaleingange trennt mit so mächtiger Ge¬
walt das romanische Rhätien von dem germanischen Tyrol, daß Jahr¬
hunderte dazu gehört haben, um stete Fehden und Feindschaft nur in
gleichgültiges, entfremdetes Nebeneinanderleben umzuwandeln.
Hat man an der einsamen Martinsbrücke das Bündtner Gebiet be¬
treten, so gelangt man, nach zuerst mühsamem Wandern in einer traurig
öden Bergschlucht, erst eigentlich bei Remüß in den schönen romantischen
Theil des Engadins. Das unheimliche Brausen des in tiefem Abgrunde
strömenden Inns, die finsteren Wälder der steilen Bergabhänge, das Heu¬
len des Windes machen jetzt den lieblichen Alpenwiesen, den sonnenreichen,
vom Gesänge des Menschen und dem Geräusche der Arbeit belebten Trif¬
ten und Dörfern Platz, und heiterer schauen die hohen Berggipfel auf den
anmuthigen Thalgrund herab, ein Eindruck, welcher an den erinnert, den
der ermüdete Wanderer empfindet, wenn er von den wilden Schluchten
der Teufelsbrücke durch den langen finsteren Gang des Urner Lochs auf
einmal in die grünenden Matten des heiteren Urseren - Thals tritt.
^ Das untere Engadin zeichnet sich durch seine ganz eigenthümlichen
Thalverengungen und Erweiterungen aus, welche terrassenartig in drei
verschiedenen Plateaux über einander liegen: die drei Thalkessel von
Remüß, von Schuls-Tarasp und von Ardez, welche der Inn in tiefen
Felsenriffen durchzieht.