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fester Thürme ragen über sie empor, darunter die gewaltigen, aber
höchst malerischen Rnndthürme des Frauen-, Spittler-, Neuen und Lau-
fer Thores, zu denen Dürer die Zeichnung lieferte. Um die Mauern
zieht sich ein sehr tiefer und breiter ausgemauerter Graben. Seine
Sohle bedecken Gemüsegärten und Obstanlagen; an den Wänden rankt
sich hundertjähriger Epheu empor; die scharfkantig vorspringenden Basteien
und die Zwinger zwischen den Mauern sind mit üppig wuchernden Bau-
men und Sträuchern bewachsen. Ein Gang um den Graben bietet dem
Wanderer eine Reihe malerischer und bedeutender Ansichten und Bilder
dar, welche mit jedem Schritt, mit jeder Wendung des Kopfes und jeder
neuen Beleuchtung wechseln. Der Kunst- und Alterthumsfreund wird daher
tief bedauern, wenn diese Befestigungswerke, wenigstens zum Theil, den
Bedürfnissen des Verkehrs und den Rücksichten auf den Gesundheitszu-
stand einer sich ungeheuer rasch mehrenden Bevölkerung werden zum
Opfer fallen müssen; aber er wird nicht Barbarei nennen, was ein Gebot
der Notwendigkeit erheischt.
Doch treten wir in die Stadt selbst ein. Die Straßen sind nicht
so enge, wie man bei alten Städten oder Stadttheilen vorauszusetzen
gewohnt ist, und wechseln mit großen freien Plätzen ab; zudem bleibt
eine große Zahl der kleineren Gäßchen und Höfe durch davor gebaute
Häuser mit Schwibbögen den Augen des Beschauers verborgen. Da-
durch erhält das Ganze ein freundliches Aussehen, das noch erhöht wird
durch die allerorten herrschende Reinlichkeit und Sauberkeit. Die Häuser-
reihen bilden fast nirgends eine gerade Linie; in der Regel springt ein
Haus dem andern vor, um einen freien Blick die Straße entlang zu
gestatten. Dadurch erhält diese überall einen natürlichen Abschluß, und
bei jeder Wendung, die sie macht, stellt sich dem Auge ein neues Bild
dar, treu dem vorigen an Charakter, aber verschieden in der Gliederung.
Das ist eben das Anziehende dieser Bauart, daß bei aller Verschieden-
heit im Einzelnen doch Harmonie im Ganzen herrscht, daß sich bei aller
Freiheit doch ein oberstes Gesetz geltend macht; aber dieses Gesetz drängt
sich nicht auf, wie eine Polizeivorschrift, sondern waltet im Verborgenen,
wie ein Naturgesetz. Nur wenige größere Gebäude, wie das deutsche
Haus mit seiner weithin sichtbaren Kuppel, das finstere schwerfällige
Rathhaus, die romanische Egydienkirche, das einfache, nüchterne Theater
und die im edelsten maurischen Stil gehaltene Synagoge, weichen von
der allgemeinen Bauart ab. Sie erscheinen wie Fremdlinge, die nicht mit
der Stadt emporgewachsen sind, wie sie denn auch einer späteren, der
Kunst weniger günstigen Zeit angehören. Doch vermögen sie den Cha-
rakter des Ganzen um so weniger zu beeinträchtigen, als fast alle Pri-
vathäuser in ihrem mittelalterlichen Gepräge übereinstimmen. Gerade
sie geben durch ihre zierlichen Chörlein, durch eingemauerte Wappen
und Reliefs, sowie an den Ecken angebrachte Heiligen- oder Thiergestal-
ten, besonders aber durch die zahlreichen, gewöhnlich mit feinem Schnitz¬