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seine ganze Kraft vorwiegend ans die Kronenbildung. Den Ästen darin
entsprießen dann rostfarbige, zähe und faserige Luftwurzeln, die wie Stricke
abwärts hängen, den Grund erfassen und den Baumsonderling noch besser
befestigen. Auf solche Art entwickelt sich ein Gewirr von Wurzeln und
Ästen, das weite Strecken der Küste für deu Menschen unnahbar macht,
aber einem überaus zahlreichen Tierleben sichere Schlupfwinkel bietet.
Außerordentlich groß ist die Bedeutung der Mangroven für die Ver-
größeruug des festen Landes in den Tropen'. Einem langsam, aber unwtder-
stehlich vordringenden Heere gleich besetzen sie die Lagunen; ihr gitter-
artiges Wurzelgeflecht Verlaugsamt den Lauf der schlammigen Gewässer,
bringt die mitgeführten Stein-, Kiesel-, Sand- und Erdmasseu zum Sinken
und bewirkt so, daß sich der Boden ungemein rasch erhöht. Kaum ist er
über die Oberfläche gestiegen, da fliegen auch schon Hunderte von Samen
darauf, beginnen zu keimeu und das dem feuchten Element abgerungene
Gebiet zu befestigen.
Zur Ebbezeit, wenn die salzige Flut des Ozeans aus den Mangrove-
sümpfen zurückgewichen ist, entdecken wir ans dem Schlammboden eine
unendliche Lebensfülle. Es wimmelt förmlich von Seegewürm, das hier
Schutz vor den rauhen Wogen des Weltmeeres suchte uud fand, außerdem
aber in den verwesenden Pslanzenstoffen Speise in Menge entdeckte. Myriaden
von Seeflöhen, Seeigeln, Holothurien, Krabben uud anderen Lebewesen
schleichen, hüpsen, kriechen, laufen rastlos umher. Besonders auffallend
stechen die glänzend farbigen Panzer der Krabben von dem schwarzen
Schlamm ab. Tauseude von Fischen zappeln oder springen, selbst in den
Ästen und Wurzeln regt es sich, soweit sie vom Wasser bespült werden,
von Muscheln, Austern und Balanen. Eine solche Unmasse von Meertiereit
lockt natürlich auch eine Menge hungriger Vögel herzu. Da schreitet der
herrliche rote Ibis, dort der stolze, rosig gefärbte Flamingo, hier die weiße
Egrette, neben ihr die rosige Löffelgans. Alle diese Vögel verschönern
den Anblick der Mangrovewaldungen noch durch ihr prächtiges Gefieder.
Denn schön sind diese bizarren Waldungen, obwohl ihr Boden widerlich
und schmutzig ist; saftiges, lebhaftes Grün prangt überall; die dichten
rundlichen Gebüsche mit den glänzenden, lederharten Blättern sind mit
zahllosen großen Blütenkelchen besetzt, von denen viele im feurigsten Rot
glühen.
Wohl lockt uus ein solcher Wald durch feine Geheimnisse; doch weiß
er den Neugierigen durch mancherlei Schrecknisse aus seinen Jrrgängen
fernzuhalten. Selbst wenn wir, leichtfüßig wie der mit Wald- und Sumpf-
Wildnis vertraute Indianer, über das verworrene Geflecht der Wurzelstelzen
zu schreiten vermöchten, können wir doch nicht tief eindringen. In dicken
Wolken schwirren uns die Myriaden der schrecklichen blutsaugenden Insekten
entgegen, die sich dem Menschen nirgends furchtbarer machen, als hier,
wo sie im Schatten der „Wurzelträger" immer wieder in unendlicher Menge
ausgebrütet werden. Trotzen wir ihnen aber auch, arbeiten wir uns, an
allen freien Hantstellen entsetzlich zerstochen, wirklich weiter vor, so bedroht