Full text: Historisch-geographischer Atlas der Alten Welt

43 
Raetia) umschlossen, daher innerhalb desselben viele Römi¬ 
sche Städte- und Castellruinen, worunter bemerkenswert!) 
Celeusum Kelllieim, Iciniacum Itziny, Aquileja Aalen, Bri- 
gobanne Rräunlinyen, Suinalocenna Sälchen bei Rotten- 
hurif, Clarenna Cannstadt, Aurelia Aquensis Raden, Aquae 
Mattiacae Wiesbaden *). An dieser Rötnergränze bildete sieh 
aus Theilon der Markomannen, Hermunduren, Chatten und 
andern kleineren Völkern um 200 n. Chr. am Main das Volk 
der Alamannen, welche den, schon mehrmals durchbroche¬ 
nen, zuletzt um 280 von K. Probus nochmals befestigten Limes 
gänzlich überwältigten und die Agri Decumates besetzten. 
#. IS«. Nördliche oder niederdeutsche Sweben. 
DieSemnonen, welche in dem von ihnen ausgegange¬ 
nen Bunde der Sweben den ersten Rang behaupteten. 
Die Langobarden, S wardon en und Varinen, ihre 
nördlichen Nachbaren an der untern Elbe. 
Die Lugier (auch Lugiones und Lygii geschrieben), 
ein in mehreren Stämmen, von denen namentlich die Burier 
in der Geschichte auftreten, in den Ebenen der obern Oder 
und Weichsel ausgebreitetes Volk. 
Die Vandi'len oder Vandalen mit den Silin gen 
(von denen wahrscheinlich der Name Silesia. Schlesien her¬ 
rührt), das westliche Hauptvolk der Lugier bildend ; ihr Name 
wurde, vielleicht nur von den Römern auf die ganzen nord- 
swebischen Volksstämme ausgedehnt. 
Die Bürgenden (Burgundiones), Helveconen, Ru¬ 
gier, Sciren, Guttonen oder Gothen (Guthai, Guthans 
in ihrem eignen Dialekt), äusserste Gränzvölker dieses Stam¬ 
mes gegen Aesten und Wenden; erst spät in die Geschichte 
einlretend, obwohl die Guttonen nahe der Bernsteinküste (im 
jetzigen Ostpreussen) schon im 4. Jahrh. v. Chr. den see¬ 
fahrenden Griechen von Massilia (Pytheas), noch näher seit 
Chr. Geb. den Römern auf der Landhandelsstrasse von Car¬ 
nuntum und andern Donauplätzen aus bekannt geworden 
waren, und die Sciren schon im 1. Jahrh. v. Chr. mit den 
das Getische Reisch am Pontus bekriegenden Keltischen Völ¬ 
kern genannt werden. Diese beiden scheinen in älterer Zeit 
die einzigen Deutschen Völker auf der Ostseite der Vistula 
gewesen zu sein, die im Allgemeinen den Römern als die 
Gränze Germaniens galt. Von den weiter östlich in die 
sarmatischen Ebenen sich ausbreitenden Bastarnen und 
Peuc inen ist wenigstens noch zweifelhaft, ob sie Germanen 
oder Kellen waren. 
§. K. Seit Mitte des 2. Jahrh. n. Chr. aber, wo die 
Bewegungen Deutscher Völker gegen Süden begannen, sehen 
wir, ausser den Burgun den (welche sich westlich wendend, 
um 280 die Alamannen aus den Main- und Mittelrhein- 
Gegenden verdrängen) alle die genannten Völker sich weiter 
östlich den Karpaten und den untern Donauländern zuwenden, 
und hier die einzige transdanubianische Provinz der Römer, 
Dacien, sowie die zerstreuten Sarmatischen Völkerschaften 
ihrem Audrange erliegen. So behaupten die Vandalischen 
As tin gen und die Gothischen Gepiden schon um 170, 
die Sarmaten verdrängend, die Südkarpatenlandschaft, ein 
Jahrhundert später die Ebenen an der Theiss bis zur mittlern 
Donau. Die Gothen, um 200 an der Nordseite der Kar¬ 
paten bis zur untern Donau ausgebreitet, beherrschen um 350 
*) Das übrige Germanien enthielt keine Städte, selbst, bei der meist 
zerstreuten Lage der einzelnen Höfe (wie noch jetzt in Westfalen) keine 
eigentlichen zusammengebauten Dörfer, und die wenigen Namen von 
snlrhen, welche aus Römischen Kriegsziigen und Handelsstrassen bei 
Ptulem ins aufbewahrt sind, sind fast durchaus verschollen und eine genaue 
Bezeichnung ihrer Lage unmöglich, daher ihre Ansetzung auf den meisten 
Karten des alten Germaniens nur auf witikührliclien Hypothesen, meist 
auf geglaubten Ähnlichkeiten mit nocli bestellenden Ortsnamen beruht. 
Diess zur Rechtfertigung ihrer Auslassung auf unserer Karte. 
schon das ganze frühere Sarmatien bis zum Tanais; um die¬ 
selbe Zeit werden die Ebenen an der untern Donau von den 
ihnen verwandten T a i f a 1 e n und Victohalen, die Gegenden 
an der Theiss und der mittlern Donau bis zum Inn aufwärts 
von den Langpbarden, Herulern (Nachkommen der 
frühem Swardonon) und Rugiern besetzt, welche Völker 
dann von diesen Sitzen aus im 4. und 5. Jahrh. sich über 
die Römischen Gränzprovinzen südlich der Donau ergiessen 
und hier der Römischen Herrschaft ein Ende machen. 
DIE FLACHLÄNDER VON OSTEUROPA 
UND INNER-ASIEN. 
(§armatia und Scytliia.) 
#. 188. Diese ungeheuren Ebenen, welche die frühere 
griechische Zeit (Herodot), die sie zuerst durch den Handel 
der griechischen Colonien im Pontus kennen lernte, unter 
dem Namen Europa’s mit zusammenfasste und die auch 
bis in die spätesten Zeiten des Alterthums immer nur höchst 
unvollkommen gekannt waren, sind in ihrer östlichen (asia¬ 
tischen) Hälfte, so wie in ihrem südlichen Küstenstriche am 
Pontus, der Natur des Landes gemäss immer nur Wohnsitze j 
nomadischer, Viehzucht — namentlich Pferdezucht — treibender 
Völker gewesen, wie sie es wesentlich noch jetzt sind. Die 
jetzigen Bewohner aber, in der ganzen Ausdehnung dieses 
Gebietes ungefähr seit dem 5. Jahrh. n. Chr., gehören last 
durchaus dem aus dem Nordosten hier eingewanderten Tii r k i— 
sehen oder sogenannten Tatarischen Stamme an (Cha- 
saren, Tataren, Kosaken, Kirghisen, Usbeken u. s. w.), mit 
Ausnahme einiger, erst im spätem Mittelalter (12—13. Jahrh.) 
eingewanderten und eine Zeitlang herrschenden Mongoli¬ 
schen, so wie einiger älteren, theilweise bis ins 4. jahrh. 
hinaufreichenden 0 s t f i n n i s c h e n oder Hunnischen Völ¬ 
ker. Die sehr gewöhnliche Ansicht, dieselbe Nationalität auch 
den Bewohnern, welche uns die alte Geschichte hier kennen 
lehrt, beizulegen, — die nomadischen Scythen, Massageten, 
Issedonen u s. w. für Mongolen oder Türken zu erklären, — 
ist durchaus irrthümlich, und wird namentlich entschieden 
widerlegt 1) durch die in neuerer Zeit bekannt gewordenen 
Berichte chinesischer Historiker, denen zufolge die Mon¬ 
golen bis in’s 12. Jahrh. noch in der Gegend des Baikal-See’s, 
die Türken bis in’s 4. um den Altai wohnten, dagegen noch j 
im 2. und 3. Jahrh. n. Chr. blauäugige und blondhaarige (zur 
weissen, sog. kaukasischen Rasse gehörige) Völkerstämme 
Theile des inneren Asiens inne hatten, 2) .durch die den ari- j 
sehen Sprachen augehörigen (namentlich dem Persischen eng- 
verwandten) Personen- und Stamm-Namen, welche uns von 
Sarmaten, Scythen, Massageten u. s. w. in grosser Menge 
überliefert werden; auch war das nomadische Leben selbst 
einzelnen altpersischen Stämmen (Herod. I, 125), nicht allein 
den innerasiatischen Völkern eigenthiimlieh. 
#.18». Von diesen weitverbreiteten Arischen Nomaden- 
Völkern sind aber wohl zu unterscheiden die sesshaften, 
ackerbautreibenden, Städte (oder doch Dörfer) bewohnenden 
Völker, welche die grossen, fruchtbaren Stromgebiete des 
osteuropäischen Flachlandes, in geringer nördlicher Entfer¬ 
nung vom Pontus anfangend, vom Anbeginn aller Geschichte 
her inne hatten, und wenn sie auch ursprünglich gleichfalls 
aus dem innern Asien stammen, doch erst in jenen Wohn¬ 
sitzen zu der Nationalität sich ausgebildet haben, die sie noch 
jetzt bewahren, der S 1 a wi s c h e n*). Nur weil die Griechen 
*) Vgl. Schafarik's Slawische Alterthüiner. Leipz. 1816. Btt. 1. 
zuerst die Scythen und später die Sarmaten als Bewohner 
der Politischen Küste, und zum Tlieil als Beherrscher des 
inneren Landes kennen lernten, wurde der g e o gr a p h i sc he 
Name Scythiens und Sarmatiens auf jene inneren unvollkom¬ 
mener gekannten Völker übertragen, so dass in Römischer 
Zeit zu den Sarmaten sogar alle Völker gerechnet werden, 
weiche jenseits der Germanischen (östlich von Karpaten und 
Vistula bis an die nördliche Ostseeküste) bekannt wurden. 
Die genauere Gesichts- und Sprachforschung der neueren 
Zeit lehrt uns hier, ausser den ganz nördlichen Finnen 
(Fenni bei den Römern)*), zwei, obgleich sehr eng ver¬ 
wandte Hauptstänune unterscheiden : 
1) Der kleinere nördliche Stamm der Aisten (von den 
Deutschen, ungewiss ob mit einheimischen Namen so benannt, 
daher römisch Aeslui**), bei den altern Griechischen Seefahrern 
’SIgtkum, ’JliTTiovfi), von den alten Slawen P rus sen ge¬ 
nannt, von dem uns als einzelne Völkerschaften im Altertlium 
bekannt werden: an der Bernsteinküste die Cot inen (Aotr- 
aivoi, wahrscheinlich die Gudden, wie die Samogeten noch 
. jetzt von den Liltauern benannt werden, am Fluss Guttalus), 
nördlicher die Osier, von denen die Insel Osericta oder Osilia 
(Uesel) benannt ist, und an den gegenüberliegenden Küsten 
als nördliches Volk die Carbones oder Curones (Caven, 
daher Curland und Curisches Haff■***), ferner im Innern 
südlich die Galindae und Sudini (in den noch jetzt Ga- 
linden und Sudauen genannten Landschaften Ostpreussens) 
und nördlicher die Veltae, d. i. die Retten in der nach 
der deutschen Form (Witzen) veränderten einheimischen 
Benennung Litwa, Ljétuw'a, woher der Name Littauer, womit 
jetzt der ganze Volksslamm gewöhnlich bezeichnet wird. 
2) Der Slawische Stamm, erst den spätesten Römern 
unter dem allgemeinen Namen der Serben, den sie noch 
in grosser Ausdehnung führen, bekannt; bei den Deutschen 
seit ältester Zeit nur Wenden (althochd. Winidä) genannt, 
welchen Namen — Venedae — auch die Römer beibehiel¬ 
ten ; zu denen wahrscheinlich auch die östlicher im Fluss¬ 
gebiet des Dnjepr wohnenden Budín i und Na vari oder 
Neuri zu rechnen sind, welche in denselben Wohnsitzen 
schon den ältesten Griechen vom Pontus her bekannt geworden 
warenf), nicht weniger auch die Stämme im jetzigen süd¬ 
lichen Russland, welche als leibeigene, zum Ackerbau ver¬ 
wendete Knechte der Scythen, von den Griechen nur mit 
dem übertragenen, ihnen nicht eigentlich zukommenden Na¬ 
men der S/.vttai yuapyoi oder tiyoTrjQts benannt wurden. 
#. lOO. Neben diesen Slawischen Stämmen wird als 
herrschendes Volk an der Nordküste des Pontus in ältester 
Zeit das Volk der Cimmerier genannt, von welchem die 
Cimmerische Meerenge (Bosporus C.) den Namen behielt, 
*) Fenni ist die deutsche Benennung und Übersetzung des einhei- 
mischenNanicne Suomolahien, d. i. Sumpfbewohner, den die Ureinwohner 
des jetzigen eigentlichen Finnlands im Osten des baltischen Meeres noch 
führen; zu demselben Stamme gehören aber auch die Urbewohner des 
nördlichen Scandinaviens, von den Römern unter den deutschen Namen 
Hellusier (d. i. Felsbewohner, wieIlilleviones) und Sitonen gekannt. 
**) Doch werden von den Römern , sowie von einigen neueren For¬ 
schern, die A es tu er selbst den Germanen beigezählt. 
***) Wahrscheinlich erst zur Zeit der grossen Völkerwanderung so 
weit südlich vorgerückt, früher weiter nördlich, indem Aestische Stämme 
bis zum finnischen Meerbusen wohnten, wo Ehslland von ihnen benannt 
ist, dessen jetzige Bewohner, wie die von Livlind, südlich vorgedrun¬ 
gene finnische Stämme sind. 
t) Herod. IV, 105,168, wo die Budinen ausdrücklich alsein blauäugiger 
und blonder, sesshafter Stamm und als Nactibarn der Neuren in einer 
sumpfreichen Gegend (Sümpfe von Pinsk und llokitno) angegeben werden, 
wo sie 6 Jahrhunderte später auch Ptolemaeus kennt; in der Erzählung 
von dem übrigen llalli fabelhaften Zuge des Darius gegen die Scythen, 
setzt sie Herod. (IV, 21) freilicli viel weiter östlich, an den mittleren 
Lauf des Tanais, aber offenbar irrthümlich.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.