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F. Österreich-Ungarn.
53. Volksbräuche und Volksglaube in Steiermark.
Auf dem Lande und in den versteckten Gebirgswinkeln hat sich in Steier-
mark mancher Brauch erhalten, der aus der alten germanischen und flavifchen
Vorzeit stammt und in den kirchlichen Festzeiten oder bei der Feier von
Familienfesten (besonders Hochzeiten) zum Vorscheine kommt. Der langen
Fastenzeit, welche in der katholischen Kirche mit der Aschermittwoch beginnt,
geht der Fasching voraus, die Zeit, iu welcher man sich noch einmal allen
möglichen Vergnügungen überläßt. Tanz und Schmausereien nehmen in dieser
Woche kein Ende, beginnen mit Donnerstage vor Aschermittwoch und werden
besonders am daraus folgenden Faschingsonntage und Faschingdienstage fort-
gesetzt. In dieser Zeit ist man mit Sieden und Braten unablässig beschäftigt
und vertilgt Krapfen, Schmarrn, fettes Schweinefleisch und andere fette Speisen,
die der Älpler so sehr liebt, in ungeheuren Mengen. Von diesem Donners-
tage an darf nicht gearbeitet werden; selbst die Spindel ruht; denn die Spinnerin
weiß, daß das in der Faschingszeit angefertigte Gespinst sicher vom „Pfingsttag-
Weibl" (den fünften Wochentag nennt man noch allgemein den „Pfingsttag")
wieder aufgelöst nnd zerstört wird. Das ist offenbar eine Erinnerung an die
altgermanische Göttin Perchta, die das Korn- und Flachsfeld behütet, und in
Salzburg wird zn dieser Zeit von phantastisch geschmückten Mannspersonen
der „Perchtentanz" aufgeführt.
Der Faschingsonntag heißt in einigen Gegenden Steiermarks der „Burschen-
sonntag". An diesem Tage lassen die jungen Burscheu des Dorfes ihrer Heiterkeit
die Zügel schießen, führen allerlei Schelmerei und Schabernack aus und ver-
anstalten Mummereien und Maskenzüge in ursprünglichster Form. Für Tanz-
lustige ist der Sonntag der Faschingswoche der Hauptfesttag. Kein Bnrfche,
keine Dirne bleibt an diesem Tage daheim; denn im Dorfwirtshause giebt es
Freimusik, bei der fich alles munter im Tanze dreht. Der darauf folgende
Tag ist auch unter dem Namen „blauer Montag" bekannt, weil in der
katholischen Kirche früher die Sitte herrschte, am Faschingmontage das Gottes-
haus (angesichts der nahen Fastenzeit) mit blauen Tüchern auszuschlagen, Das
lustige, tolle Lebeu wurde auch an diesem Tage fortgesetzt; der Handwerker
stellte seine Arbeit ein, der Bauer that uur das Nötigste. Iu manchen Gegenden
heißt dieser Montag anch der „damische", d. h. der närrische, tolle. Die deutschen
Handwerksgesellen haben iu der Folge jene Sitte des „blauen Montages" ans
alle Montage im Jahre ausgedehnt nnd lieben es, am ersten Tage der Arbeits-
woche „blau^-zn machen".
Am Faschingdienstage findet in Steiermark vielfach das „Faschingsrennen"
statt. Darunter versteht man einen von ledigen Burschen ausgeführten Umzug.