Full text: Neuere Geschichte (Theil 3)

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Familie zu sich nach Bayonne kommen (Mai 1808) und veranlaßte sie, 
die Rechte auf den spanischen Thron ihm abzutreten. Hierauf proclamirte 
er seinen Bruder Joseph von Neapel als König von Spanien*). Das 
überraschte und an Knechtschaft gewohnte Volk hatte diesen Wechsel des 
Herrschers gleichgiltig hingenommen, doch die Mönche und die Geistlichkeit, 
welche von den Franzosen Alles befürchtete und bald auch des Königes Hand 
nach ihren Gütern und Reichthümern greifen sahen, fachten den Fanatis¬ 
mus des Aberglaubens zu Heller Flamme an. Bald stand das ganze Reich 
gegen den König Joseph in Waffen. Dieser Krieg regte auch das Land¬ 
volk auf, das in den Thälern bisher, wenig Antheil an der Regierung ge¬ 
nommen hatte, wenig von den Welthändeln und den Veränderungen in 
Europa wußte, und des Glaubens lebte, die Spanier seien noch, wie vor 
dreihundert Jahren unter Kaiser Karl V., die erste Nation der Welt. Fest 
hing es an seinen alten Sitten und Gesetzen, wie an seinem Glauben; 
daher kostete es auch nicht viele Mühe, dieses kräftige und kühne Volk 
gegen die Franzosen aufzuwiegeln. Unter Pala fox, Ballesteros, Mo¬ 
rillo, O don el und Anderen sammelten sich Hunderttausende, die dem 
unersättlichen Welteroberer zuriefen: „Was, dreimalhunderttausend Spanier 
willst Du über Berge und Meere treiben? Nehmen willst Du unser Geld, 
damit uns nichts bleibe als das Auge, um unser Elend und unsere Ar- 
muth zu beweinen? Du bist Europa's gemeinschaftlicher Feind; Du zer¬ 
störst den Handel, die friedliche Kunst und den Landbau!" In jeder Pro¬ 
vinz bildete sich unter dem Namen der Junta ein Regierungsverein; an 
die Spitze der ganzen Bewegung setzte sich die Junta von Sevilla. 
Diese proclamirte von Neuem Ferdinand VII. zum Könige von Spa¬ 
nien, forderte in seinem Namen alle Spanier zur Vertheidigung des Vater¬ 
landes auf, unterhandelte zuerst um den Frieden, dann um ein Bündniß 
in London, beschickte alle Mächte Europa's und forderte sie auf, die französische 
Kette zu brechen. Zugleich lehrte sie, wie der Krieg gegen Frankreich zu 
führen sei, — nicht in regelmäßigen großen Schlachten, sondern im kleinen 
Kriege durch einzele Haufen, welche bald die französischen Truppen in ihrem 
Zuge hindern, bald einzele getrennte Abtheilungen derselben aufreiben sollten. 
Zu einem -solchen kleinen Kriege war Spanien seiner Lage nach mit den 
vielen Bergen, Schluchten, engen Pässen und Strömen vorzüglich geeignet. 
Napoleon hatte auf einen solchen Widerstand, wie er ihn hier fand, nicht 
gerechnet; überall hatte er es ja nur mit schlechtbesoldeten und zum Kriegs¬ 
dienste gezwungenen Truppen zu thun, — hier stand ein ganzes Volk, 
freiwillig, ohne Sold, für Herd und Altar streitend, in allen Gegenden des 
Reiches schlagfertig ihm gegenüber. 
*) Das Königreich Neapel gab er seinem Schwager, dem tapferen Joachim 
Murat, bisherigem Herzoge von Berg; an Murat's Stelle ernannte er den Sohn 
leines Bruders Louis zum Großherzoge von Berg. 
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