484 Abschll. 5. Ethnographische Übersichten.
sich von der Scholle los zu machen und an Übersiedelungen
Theil zu nehmen. —
Ist nun gleich diese Beweglichkeit, diese Ablösbarkeit, diese
Unabhängigkeit vom Boden und einer bestimmten Natur und
Landes-Physik ein Zeichen der Entwickelung und Gesittung, so
ist dasselbe doch keinesweges untrüglich, wie künftig darzulegen,
wie vornehmlich Chinesen, Japaner und Inder beweisen. —
Ebenso wie die dünnsten und schwächsten der Haupt-
stämme die verhältnißmäßig größten Räume einnehmen, so
sind sie auch, — und zwar eben darum — am sprach - und völ¬
kerreichsten, und am meisten in zahlreiche Gruppen und Glieder
aus einander gerissen. Wenn die dicht bei einander wohnenden,
dicht gedrängten Stämme auch die homogensten sind; wenn 457
Millionen Indo-Europäer nur zehn, wenn 230 Millionen
Sino-Japaner nicht mehr als vier Familien bilden; wenn 98
Millionen Afrikaner wahrscheinlich in drei Hauptgruppen zu
bringen sind: so zerfallen die 11 Millionen Tschuden minde¬
stens in zwei, 34 Millionen Tataren in vier, 13 Millionen
Amerikaner in wenigstens neun große ethnographische Abthei¬
lungen und jede derselben in eine zahllose Menge kleinerer
Sprach- und Völkergruppen, deren Zusammengehörigkeit wir
noch nicht nachzuweisen vermögen, so daß z. B. in Amerika,
unter 13 Millionen Menschen, allein über 400 verschiedene (?)
Sprachen gezählt werden. —
Es ist indeß zugleich interessant zu bemerken, wie solche
nationelle und sprachliche Zerrissenheit, solcher Sprach- und
Völkerreichthum niemals gleichmäßig über die Verbreitungs¬
Sphäre des einen oder des andern Hauptstammes vertheilt,
daß er vielmehr gewöhnlich in einzelnen, zuweilen sehr be¬
schränkten Gegenden konzentrirt ist, wogegen andere, oft weite
Länderstrecken, statt dieser Theilung und Geschiedenheit, eine
merkwürdige ethnographische Einheit bewahren. —
Häufig, doch nicht immer, spielen hohe, thalreiche Gebirge,
unzugängliche Alpen-Terrassen die Rolle solcher Völkerschei¬
delt und Sprachelik noten, indenr sie in der Folge der Zei¬
ten die Zufluchtsstätten verschiedener Völkerreste wurden,
welche, gedrängt von der Fluth überlegener Massen, in der Ein-