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einzurichten, und da es in ihrem Lande nicht Winter wird und die Maulbeer¬
bäume fortwährend grünen, so konnten sie auch Sommer und Winter die Co¬
cons von ihren Bäumen sammeln und Seide daraus machen. Diese verkauften
sie dann außerordentlich theuer; und damit kein anderes Volk eö ihnen nach-
thun sollte und ihnen die reiche Einnahme schmälern, gab der Fürst des Landes
den Befehl, man solle Jeden, der aus dem Lande reisen würde, genau durch¬
suchen, ob er Seidenschmetterlinge, Puppen, Raupeu oder Eier bei sich führe,
und wen man mit dergleichen fände, der sei des Todes schuldig. Lange war
es Keinem geglückt, die Seidenraupe aus China zu entführen. Endlich wagten
es zwei Geistliche, die dorthin gezogen waren, um zu predigen. Bei ihren
Reisen hin und her im Lande achteten sie genau darauf, wie man verfahren
müßte, um die Raupen groß zu ziehen und die Seide zu gewinnen, fertigten
sich dann Reisestöcke an, die innen ausgehöhlt waren und füllten diese Höhlung
mit Eiern des Seidenschmetterlings an. Bei ihrer Abreise wurden alle ihre
Reisegeräthe zwar genau durchsucht; nur an die Reisestöcke dachte Keiner, da
man von Außen nichts Auffallendes an ihnen bemerkte. So kamen die Seiden¬
raupen zu uns, wurden nun vielfach gezogen, und Seide wurde in unserem Va¬
terlande genug bereitet. Dadurch ward diese so wohlfeil, daß wohl selten jetzt
ein Kind ist, welches nicht wenigstens ein seidenes Bändchen besäße, um sich
oder seine Puppe damit zu putzen. Viele haben auch wohl ein Tüchlein von
dem wunderzarten Stoff, auch wohl ein Kleid und haben dadurch Gelegenheit,
mit eigenen Augen zu sehen, welche Schönheit Gott darstellen kann aus Waffer,
Luft und Erde, diesen unscheinbaren Dingen.
26. Der Maikäfer.
Die Obstbäume haben wir eigentlich nur für uns gepflanzt.
Die Maikäfer thun aber, als wären sie ihretwegen da; denn in
manchen Jahren finden sie sich so häusig auf ihnen ein, daß die
Zweige sich von der Last beugen. Dann geht es den Bäumen
schlecht; was an weichem Laube sich vorfindet, wird unbarmherzig
abgefressen. Noch ehe 8 Tage vergangen sind, stehen ausgedehnte
Obstanlagen entlaubt da und haben ein winterliches Ansehen. An
eine Obsternte ist dann natürlich nicht zu denken; denn die Bäume
müssen ja alle die Säfte, durch welche sie Blüthen hätten erzeu¬
gen können, auf das Hervorbringen neuer Blätter verwenden, ohne
die ein Baum im Sommer nicht bestehen kann.
Haben sich die Maikäfer 8—14 Tage dem Vergnügen, um¬
herzuschwirren und Laub zu fressen, hingegeben, so graben sich die
Weibchen, die man leicht an den kleinern Fühlhörnern erkennt,
einige Zoll tief in die Erde und legen dort an zwei bis drei ver¬
schiedenen Orten 12 bis 30 Eier. Bald darauf sterben sie. Nach
4 bis 6 Wochen entstehen aus den Eiern kleine wurmartige Thier-
chen, Larven oder Engerlinge genannt, mit sechs Beinen und kräf¬
tigen Kinnbacken. Ihre Nahrung besteht meistens in zarten Wur¬
zeln. Wie die Alten, so sind auch sie äußerst gefräßig; und um