Full text: Der kleine Kinderfreund

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Fluthen empor und trugen Kinder zu ihren Müttern ans 
Land; — kurz, Noth und Hülfe suchten''s einander zuvor¬ 
zuthun. Aber die Noth hatte lange die Uebermacht. 
Das edelste Menschenherz unter allen schlug aber dies¬ 
mal in einer Herzogsbrust. Diese öffnete sich sammt Börse 
und Haus für Hunderte von Unglücklichen. Nicht genug! 
Bald stand der Herzog auch an dem Ufer und zog vor den 
Andern her als rettender Engel. Eine Mutter fiel vor ihm 
nieder und flehte jammernd um den Befehl, ihre Kinder zu 
retten. Er bot Geld aus; aber Niemand hatte das Herz, 
es zu verdienen. Denn gar zu schaurig rauschte die immer 
höher steigende Fluth, und eignes Leben stand gegen fremdes 
in der Wage. Da hallte in Leopolds Herzen das mahnende 
Wort wieder: „Wer da suchet, seine Seele zu erhalten, der 
wird sie verlieren; und wer sie verlieren wird, der wird ihr 
zum Leben verhelfen/“ Und schon stand er selbst im Kahne 
und antwortete denen, die ihm abriethen: „Was bin ich mehr, 
als ihr? Ich bin ein Mensch, und hier gilt's Menschenleben!“ 
Und dahin schwankte der Nachen übsr die rauschende Fluth. 
Schon nähert er sich dem jenseitigen Damme-, jetzt ist er 
nur noch drei Schritte davon; schon sieht man im Geiste 
gerettetes Leben, — ach, da schlug plötzlich der Kahn um, 
und — die Wellen der Oder sangen ein Grablied, dazu 
ganz Frankfurt, ja ganz Europa weinte. Er hatte seines 
Leibes Leben verloren, — aber seiner Seele zum Lieben ver- 
holfen. 
54. Der Negersohn. 
Ein Neger, der in den dänischen Besitzungen an der Küste 
Afrikas wohnte, war durch Unglücksfälle in schwere Schulden ge¬ 
rathen und sah, da er von dem Gläubiger gedrängt ward, kein 
Mittel, sie zu bezahlen. „Ich habe nichts weiter," sagte der un¬ 
glückliche Mann, „als meine Person. Willst du also, so verkaufe 
mich, wenn es dir beliebt." Der hartherzige, erbitterte Gläubiger 
ergriff ihn sogleich und verkaufte ihn. Darauf ward er mit mehre¬ 
ren Sklaven an einer gemeinschaftlichen Halskette, wie es Gebrauch 
ist, angeschmiedet und nach dem Strande geführt. Hier blieb er, 
bis das Schiff, welches die Sklaven nach Westindien bringen sollte, 
seine ganze Ladung eingenommen hatte. Vor der Abfahrt aber 
kam ein junger Neger, von mehreren seiner Verwandten begleitet, 
zum Strande und erklärte, daß er Willens sei, für einen der hier 
versammelten Neger einzutreten. Der dänische Arzt, der herbei-
	        
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