Full text: Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs

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— und das kam von Menschen. Dazwischen hinein vernahm ich 
ein Seufzen und Stöhnen, wie mans sonst nicht hört; es klang wie 
schmerzliches Bitten und jammervolles Klagen, wie ein Beten sprach¬ 
loser Kreatur zu ihrem Schöpfer und Herrn, und das kam von 
Thieren. Jetzt traten mir alle die armen, geplagten Pferde vor 
die Augen, denen dieser Weg der tägliche Kreuz- und Jammerpfad 
ist, auf dem sie von ihren Herren und deren Knechten erst muth- 
willig verdorben, und dann, wenn sie verdorben sind, unbarmherzig 
mißhandelt und zu Tod getrieben werden; die ausgehungerten und 
abgearbeiteten Gerippe, denen der hohe, schwankende Bretterwagen 
von der Donau zum Neckar sein klägliches Jammerlied nachseufzt, 
die wundgetriebenen Geschöpfe, denen das Kummet oder der Sattel 
im frischen Fleische spielt, die erbarmungswürdigen Trippler vor den 
vollbepackten Kutschen, denen bei jedem Schritt das Knie zittert, 
und deren Auftreten so jammervoll bescheiden ist, als brennte ihnen 
der Boden heiß unter den Hufen, — nun der Hauderer hält sie ja 
hübsch aufrecht durch Zerren und Herausreißen und Peitschenmah¬ 
nungen, von einer Station zur andern, von Stuttgart nach Ulm, 
und von Ulm nach Stuttgart, und ist das Thier hin, denkt er, so 
ist ja nicht viel hin! — Hier, wo der Güterweg neben hinein geht, 
war es, wo ich vor nicht langer Zeit einen Fruchtwagen hinunterfah¬ 
ren sah; der Wagen war vollgeladen, der Knecht aber noch voller 
und hatte sich vermuthlich zu lang aufgehalten, so mußte es denn im 
Hellen Galopp von der Stadt hinausgefahren sein; die jungen Rosse 
waren ganz außer sich über dem wilden Hetzen und der unordentlichen 
Führung, und da sie nicht wußten, wo es brannte, folgten sie hier, . 
wohin der Bursche zerrte, nemlich den Stich daneben hinunter, und 
drunten steckte jetzt der Wagen. Was gabs da für ein Peitschen über 
die Köpfe, Prügeln auf die Knochen, Mißhandeln und Schreien über 
die Thiere hinein! Warum? Weil sie in aller Unschuld gefolgt 
waren, wohin der tolle und volle Führer sie gerissen, und weil sie 
vermuthlich hätten besser als er verstehen sollen, was sich gehörte. — 
Und komme ich dort nicht an das Brücklein, wo ich unlängst aufge¬ 
halten wurde, weil an einem Güterwagen ein alter, abgedienter Gaul 
gefallen war? Zweimal versuchte das Thier auf den kräftigen Zu¬ 
spruch der Peitsche sich wieder aufzuraffen, um in seinen harten Dienst 
zurückzukehren, aber unmächtig stürzte es wieder zusammen; und nun 
— wenn ich nur den Menschen wieder aus meinem Sinn bringen 
könnte, der jetzt mit seiner heiseren Stimme über das in seinem Dienst
	        
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