Full text: Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs

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len, Garben und Feuerkugeln. Die Nacht wurde in hellen Tag ver¬ 
wandelt, ich konnte einen Brief lesen, so gut als am Mittag. Un¬ 
vermerkt erlosch aber dieses himmlische Feuer wieder, jedoch blieb die 
Nacht hell bis gegen Morgen. Dieses prachtvolle Schauspiel ertheilt 
selbst den Sternen einen Theil seiner Schönheit. Sie funkeln durch 
die wallenden Strahlen desselben mit größerem Glanz; oft scheint der 
ganze Himmel in Funken zu stehen. Nichts Prächtigeres kaun man 
sich denken, als jene farbigen Lichtströme, welche sich mit unglaub¬ 
licher Schnelligkeit über den ganzen Himmel ausbreiten und ihn .gleich¬ 
sam mit einer Decke von Edelsteinen zieren. Der ganze Himmel hat 
das Aussehen einer glänzenden Kuppel, die von verschieden gefärb¬ 
ten Lichtsäulen getragen wird. sMer man sieht dieses herrliche Schau¬ 
spiel auch nicht ohne einigen Schrecken; denn es findet dabei manch¬ 
mal ein deutliches Zischen, ein gelindes Sausen, mitunter auch ein 
Platzen und Rollen statt, daß man meint, man höre das wiederholte 
Knallen eines Feuerwerks. Die Jäger, welche am Eismeer die blauen 
und weißen Füchse jagen, werden natürlich von den Polarlichtern oft 
überfallen; alsdann fürchten sich ihre Hunde so sehr, daß sie sich auf 
chie Erde niederlegen und nicht mehr von der Stelle zu gehen wagen, 
ibis dieses Getöse aus ijTT^ 
Die Polarlichter sind nun für den Winter der Polar- oder Eis¬ 
länder eine große Wohlthat. In diesen geht die Sonne etwa 4 Wo¬ 
chen lang nicht auf, in dieser ganzen Zeit bliebe es also Nacht, eine 
bange, ungemuthsame Nacht, wenn nicht Gott die freundlichen Polar¬ 
lichter leuchten ließe. Es nützt einen da nichts, daß dafür im Som¬ 
mer die Sonne auch wieder etwa 4 Wochen lang gar nicht untergeht, 
sondern nur wie im Ring am Gesichtskreis herumläuft. Freilich ist die 
Sonne der Mitternacht auch wieder ein merkwürdiges Schauspiel für 
den Fremden. Sie gleicht indessen nur dem Mond, man kann sie 
mit bloßen Augen betrachten ohne Schaden, sie hat ihren sonstigen 
blendenden Glanz nicht. Ein so langer Tag erzeugt dann zwar 
allerdings wieder eine so starke Hitze, daß der Theer an den 
Schiffen flüssig wird, aber doch nur erst im Juli und August der ge¬ 
frorene Boden aufthaut, und daß dann, was in solchen Gegenden 
noch fortkommt, viel schneller als bei uns hervorkeimt, wächst und 
reif wird, alles in 2 —2V2 Monaten. Dabei fehlt aber der Früh¬ 
ling, der Sommer bricht auf einmal aus dem Winter hervor, auch 
kommt kein Herbst, auf einmal macht der Sommer dem Winter wie¬ 
der Platz, und dieser fragt nichts nach dem Sprichwort; strenge
	        
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