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Gemsen und Steinböcke. Sogar in den arabischen Sandwüsten findet das Kameel 
seine Nahrung, und damit die stacheligen Gewächse ihm nicht schaden, ward sein 
Mund und Zahnfleisch mit harten Knorpeln überzogen. So wie aber die reiche 
Fürsehung für die heißen Zonen sorgt, wie sie auf den blühenden Ländern 
Europas ruht, so blickt sie auch mit mütterlicher Wachsamkeit auf die kalten 
Gegenden des Nordens. Sehr kalt ist Schottland; doch wachsen dort zum 
Schutze wider die Kälte in gebirgigen Gegenden viele Waldungen ; in den Ebenen 
aber finden sich Steinkohlen und Torf in reichlicher Fülle. An Island scheint 
die Kälte tödtlich; dennoch ist das Land gesund; man kennt dortselbst weder 
Aerzte noch Wundärzte, und hundertjährige Greise obne Krücke und Stab sind 
dort nichts Seltenes. Sehr spärlich ist die Vegetation; zu kurz sind die Som¬ 
mer, zu strenge die Winter für Feldfrüchte und Wurzelgewächse. Dagegen bietet 
das Meer einen sichtbaren Segen Gottes in den ungeheueren Zügen von Häringen, 
Kabeljau'S, Dorschen, Schellfischen und Makrelen. Die Buchten wimmeln von 
ihnen. Sie werden gefangen für das ganze Jahr, nichts von dem Fange des 
Walfisches zu sagen, der die eigentliche Erndte und der Herbst deS Isländers ist. 
Wandeln wir nach dem eisigen Sibirien, so finden wir dort den treff¬ 
lichsten Buchweizen und überall, wie in allen nördlichen Ländern, Thiere in 
großer Zahl, deren dicke und wollige Pelze ganz vorzüglich wider die grimmige 
Kälte schützen. Was soll man vollends von Lappland sagen, auf dessen 
Alpen ein ewiger Schnee liegt, dessen Flüsse und Seen bis auf den Grund 
frieren und oft im ganzen Jahr nicht aufthauen? Scheint es nicht, als wäre 
daS Land von der Fürsehung ganz verlassen? Dennoch scharrt daS so nützliche 
und so leicht zu ersättigende Rennthier sein spärliches MooS selbst unter der 
EiSrinde auf und kommt zu gehöriger Zeit zur Hütte seines Herrn, um sich 
melken zu lassen! So heftig ist die Kälte daselbst, daß, wenn die geheizte Stube 
geöffnet wird, alle Dünste in Schnee verwandelt zu Boden fallen. Indessen 
gebt daselbst dennoch nach langer Winternacht ein Sommertag von zwei bis drei 
Monaten auf. während dessen die Vegetation so kräftig fortwährt, daß in zwei 
Monaten Gerste und Roggen gereift sind. Sollte man nicht fast sagen, daß 
die Feldfrüchte bet uns später, als in Lappland reifen? Was die weise und 
gütige Natur dem lappländischen Sommer an Zeit versagen muß, das ersetzt sie 
ihm an Hitze, und bewirkt dadurch in der Hälfte der Zeit, was sie in wärmeren 
Ländern während eines ganzen langen Sommers bewirkt. 
Doch daS verlassenste aller Länder scheint Grönland zu sein, das dem 
Nordpol am nächsten liegt. Dort sieht man nichts, als Berge und Felsen, deren 
Gipfel sich in den Wolken verlieren. Oft liegen an den Küsten Eisschollen drei 
Meilen lang und über hundert Klaftern hoch. Die Kälte übersteigt alle Be¬ 
griffe. Selbst Branntwein gefriert, und im Februar und März springen die 
Steine entzwei Dennoch liebt kein Volk sein Vaterland so innig. Ihr Acker, 
ihre Erndte, ihre Kunst ist der Seehundsfang. Der Seehund gewährt ihnen 
Nahrung, Getränke, Kleidung, Fettwaaren, Zwirn, Fenster, Hemden, Vorhänge, 
Nägel, Pfeile, Schläuche, Werkzeuge, Decken, Ueberzüge. Dies Alles gewinnen 
sie aus dem Fleische, dem Speck, den Sehnen, Gedärmen, der Blase, den Kno¬ 
chen, Rippen, Fellen, dem Magen und Blute eines einzigen Thieres. Zwar 
jagen sie auch Hasen, Bären, Füchse und fangen auch Lachse; doch müssen sie 
diese Jagden in Eile betreiben, da ihr Sommer kaum über sechs Wochen dauert. 
Ganz wunderbar zeigt sich hier die göttliche Fürsehung vorzüglich in zwei 
Dingen. Da in dieser so großen Nähe deS Poles und auf so felsigem Boden 
keine Pflanze mehr gedeiht, so müßten die Einwohner ohne Rettung erfrieren. 
Doch das Holz, daö der Boden ihnen nicht gewährt, führt Gottes liebevolle Für¬ 
sorge ihnen zu. Bet jeder Fluth bringt das Meex in großer Menge Tannen, 
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