Das Postwesen in den letzten fünfzig Jahren. 325 
Die verwegene Idee erregte Schaudern in allen redlichen Gemütern, die 
da wissen, daß die Nacht keines Menschen Freund ist. Man mochte 
sich nur mit den Gedanken trösten, daß die Nachtzüge gewiß nur sehr, 
sehr langsam fahren und nur ganz solide Reisende befördern werden, 
die den Nachweis führen, daß sie durch besondere Umstände genötigt 
sind, zu Nachtreisen Zuflucht zu nehmen. 
In der Tat begannen die Nachtzüge zuerst mit langsamen Fahrten; 
aber nach kurzer Zeit kehrte sich die Weltordnung vollständig um, 
die Nachtzüge wurden Jagdzüge, und die soliden Leute finden, daß 
das Reisen am Tage eine Zeitverschwendung ist, da man im Schlaf¬ 
abteil, in das man in Berlin abends einsteigt, vortrefflich ruht und 
am Morgen frisch und munter in Köln ist, um seine Geschäfte dort 
abzuwickeln. 
Und merkwürdig! Die statistischen Aufnahmen beweisen, daß von 
allen Unfällen, welche Eisenbahnreisende betreffen, gerade die Nacht¬ 
fahrer am allermeisten verschont bleiben. Bernstein. 
185. Das Postwesen in den letzten fünfzig Jahren. 
Fünf Tatsachen sind es, die den gewaltigen Aufschwung ermöglichten, 
den das Postwesen im Laufe der jüngstverflossenen 40 — 50 Jahre genommen 
hat: die allgemeine Einführung der Eisenbahnen, die Erfindung und Anwen¬ 
dung elektromagnetischer Telegraphen, die britische Postreform Nowland Hills, 
die Einrichtung des österreichisch deutschen Postvereins (1850) und die Grün¬ 
dung des Weltpostvereins (1874). 
Die größte Schwierigkeit bei der Verbesserung des Postwesens lag stets 
darin, daß die Regierungen immer von dem Grundsätze ausgingen, die Post 
müsse dem Staate Gewinn abwerfen. Diesein Grundsätze entsprachen denn 
auch die hohen Portosätze, welche alle nach Meilen festgesetzt waren. Hatte 
-ein Brief mehrere Blätter, z. B. drei, so zahlte man dreifaches Porto. So 
mußte zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ein Engländer für ein Paket 
Briefe und Zeitungen aus Griechenland 17 Pfund Sterling (340 Mark) 
Porto bezahlen. Für einen Brief aus Frankreich nach Hannover waren noch 
1833 1,40 bis 1,70 Frank zu entrichten. In Deutschland betrug das Porto 
für einen einfachen Brief von einem Ende bis zum anderen einen Gulden, 
in Preußen für einen Brief von Aachen nach Memel 18 Silbergroschen. 
Allgemein wurde der Druck dieser veralteten Posteinrichtungen gefühlt; am 
meisten in England, wo manches große Kaufhaus mehrere tausend Pfund 
Sterling an Porto zu entrichten hatte. Da trat 1837 Rowland Hill, ein 
britischer Versicherungsgehilfe, mit Vorschlägen auf, wodurch er der Refor- 
mator des britischen und des Weltverkehrs geworden ist. Er beantragte 
nämlich, daß für jeden nicht mehr als 15 g schweren Brief im gesamten 
britischen Gebiete ein Penny erhoben werden möchte. Dieser Vorschlag wurde 
zwar von den Behörden mit Entrüstung abgelehnt; das Volk aber nahm 
ihn begeistert auf; es drängte die Regierung, nud 1840 trat nach Hills Ent¬ 
würfen das einheitliche Penny-Porto für alle Gebiete der britischen Krone 
ins Leben. Und was war die Folge? Während im Jahre 1839 die Zahl 
aller im Bereiche Großbritanniens und seiner Kolonien der Post übergebenen 
Briefe 75 Millonen betrug, belief sie sich schon 1840 auf 170 Millionen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.