Uorworl
Einer unserer berühmtesten Juristen, Rudolf v. IHering, hat einmal
gesagt:
„Es bedarf nicht der Wissenschaft, um den denkenden Menschen darüber
aufzuklären, in welchem Maße er seine Rechnung im Staate findet; das
bloße Aufschlaaen des Auges reicht aus, um dies wahrzunehmen. Für die
urteilslose Masse ist aber letzteres schon zuviel verlangt. Wenn man ihre
Klagen vernimmt über die Lasten und Beschränkungen, die der Staat auf¬
erlegt, möchte man glauben, daß er mehr eine Plage als eine Wohltat sei.
Die Vorteile, welche er gewährt, betrachtet sie als selbstverständlich — dazu
ist er ja da! — oder richtiger, sie wird sich ihrer gar nicht bewußt; es ver¬
hält sich mit dem Staate wie mit dem Magen, von dem man nur spricht,
um über ihn zu klagen, den man nur empfindet, wo er unbequem wird.
Alles wird in unserer heutigen Zeit dem Verständnis des Volkes nahe
gebracht: die Natur, die Geschichte, die Kunst, die Technik; es gibt kaum
einen Gegenstand, über den der Laie sich nicht aus einer allgemein faßlichen
Darstellung belehren könnte. Nur der Staat und das Recht, die ihn so
nahe berühren, machen davon eine Ausnahme; und doch sollte WiAerwLiße-
nicht bloß der Gebildete, sondern auch der Mann, des Volkes die Gelegen¬
heit haben , sich darüber zu belehren, was sie für ihn tun, und warum sie
im wesentlichen nicht anders beschaffen sein können, als sie es sind. Ich
habe früher daran gedacht, diesem Mangel durch einen auf den Bürger und
Bauer berechneten Rechtskatechismus für das Volk abzuhelfen. Das Ziel,
das mir vorschwebte, war eine Versöhnung des unbefangenen Urteils mit
den Einrichtungen, an denen es so vielfach Anstoß nimmt, eine Apologetik
des Rechts und Staates vor dem Forum des einfachen gesunden Menschen¬
verstandes nach Art des Vorbildes von Justus Möser. Ich habe mich über¬
zeugt, daß die Aufgabe meine Kräfte übersteigt; möge ein anderer sie auf¬
nehmen. Wer sie richtig ausführt, kann sich ein großes Verdienst um die
Gesellschaft erwerben, aber er muß denken als Philosoph und sprechen als
Bauer." (Der Zweck im Recht I3, 1883, S. 558 f.)
Das vorliegende kleine Buch ist ein Versuch, diese Aufgabe zu lösen.
Von den zwei Forderungen, welche Jhering an die richtige Lösung
gestellt hat, habe ich die erste zu erfüllen gesucht in meiner „Philosophie der