Full text: [2 (Mittlere Lehrstufe)] (2 (Mittlere Lehrstufe))

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II. Parabel, Paramythie, Allegorie. 
Böses, Unerlaubtes und Tadelnswürdiges ich schon als Soldat ausgeübt 
hatte. Ich schluchzte und konnte nicht zu mir kommen. Da stand der 
Edle auf, legte mir seine schöne Hand auf die Schulter und wollte mich 
trösten; ich aber faßte diese Hand und drückte den herzlichsten Kuß darauf, 
indem ich die Sprache wiederfand und sagte: „Großer Mann, diese Viertel¬ 
stunde ist mir unbezahlbar, denn Sie haben einen andern Menschen aus 
mir gemacht." — Von Stund' an schlug ich auch in mich, ließ das wilde 
Leben fahren, und seitdem konnte ich auch erst mit Vernunft tapfer sein, 
da mein Umtreiben im Felde nicht mehr ein toller Rausch und Taumel 
war, wie er die meisten meiner Kameraden begeisterte. Vater Ziethen 
zeichnete mich auch bald aus, ich war mit mir selbst zufrieden, und nun 
wurde ich es erst inne, daß dieses Gefühl die Krone des Lebens sei. Dieses 
alles, meine ganze Moralität, habe ich diesem Besuche bei unserm unsterb¬ 
lichen G ell er t zu danken. L. Tieck. 
II. 
Parabel', Uaramytßie, Allegorie. 
5. Die Krone des Alters. 
Wen der Schöpfer ehret, warum sollten den nicht auch Menschen 
ehren? Auf des Verständigen und Tugendhaften Haupte ist graues Haar 
eine schöne Krone. 
Drei Greise feierten zusammen ihr Jubelfest und erzählten ihren 
Kindern, woher sie so alt geworden. Der eine, ein Lehrer und Priester, 
sprach: „Nie kümmerte mich, wenn ich zu lehren ausging, die Länge des 
Weges; nie schritt ich anmaßend über die Häupter der Jugend hinweg 
und hob die Hände nie auf zum Segnen, ohne daß ich wirklich segnete 
und Gott lobte: darum bin ich so alt geworden." Der andere, ein 
Kaufmann, sagte: „Nie habe ich mich mit meines Nächsten Schaden 
bereichert; nie ist sein Fluch mit mir zu Bette gegangen, und von meinem 
Vermögen gab ich gern den Armen: darum hat mir Gott die Jahre 
geschenket." Der dritte, ein Richter des Volkes, sagte^ „Nie nahm ich 
Geschenke; nie bestand ich starr auf meinem Sinn; im Schwersten suchte 
ich mich jederzeit zuerst zu überwinden: darum hat mich Gott in meinem 
Alter gesegnet." Da traten ihre Söhne und Enkel zu ihnen heran, 
küßten ihre Hände und kränzten sie mit Blumen; und die Väter segneten 
sie und sprachen: „Wie eure Jugend, sei auch euer Alter! Eure Kinder
	        
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