Goethe und Schiller.
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wohnte ich gewöhnlich bei. Einstmals fand ich Schillern daselbst,
wir gingen zufällig beide zugleich heraus, ein Gespräch knüpfte sich
an, er schien an dem Vorgetragenen teil zu nehmen, bemerkte aber
sehr verständig und einsichtig und mir sehr willkommen, wie eine so
5 zerstückelte Art, die Natur zu behandeln, den Laien, der sich gern
darauf einließe, keineswegs anmuten könne.
Ich erwiderte darauf, daß sie den Eingeweihten selbst vielleicht
unheimlich bleibe, und daß es doch wohl noch eine andere Weise
geben könne, die Natur nicht gesondert und vereinzelt vorzunehmen,
10 sondern sie wirkend und lebendig, aus dem Ganzen in die Teile
strebend darzustellen. Er wünschte hierüber aufgeklärt zu sein, ver¬
barg aber seine Zweifel nicht; er konnte nicht eingestehen, daß ein
solches, wie ich behauptete, schon aus der Erfahrung hervorgehe.
Wir gelangten zu seinem Hause, das Gespräch lockte mich
löhineiu; da trug ich die Metamorphose der Pflanzen lebhaft vor und
ließ mit manchen charakteristischen Federstrichen eine symbolische
Pflanze vor seinen Augen entstehen. Er vernahm und schaute das
alles mit großer Teilnahme, mit entschiedener Fassungskraft; als
ich aber geendet, schüttelte er den Kopf und sagte: „Das ist keine
20 Erfahrung, das ist eine Idee.“ Ich stutzte, verdrießlich einiger¬
maßen ; denn der Punkt, der uns trennte, war dadurch aufs strengste
bezeichnet. Die Behauptung aus Anmut und Würde fiel mir
wieder ein, der alte Groll wollte sich regen; ich nahm mich aber
zusammen und versetzte: „Das kann mir sehr lieb sein, daß ich
25 Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.“
Schiller, der viel mehr Lebensklugheit und Lebensart hatte als
ich und mich auch wegen der Horen die er herauszugeben im
Begriff stand, mehr anzuziehen als abzustoßen gedachte, erwiderte
darauf als ein gebildeter Kantianer, und als aus meinem hart-
30 nackigen Realismus mancher Anlaß zu lebhaftem Widerspruch ent¬
stand, so ward viel gekämpft und dann Stillstand gemacht; keiner
von beiden konnte sich für den Sieger halten, beide hielten sich
für unüberwindlich. Sätze wie folgender machten mich ganz un¬
glücklich : „Wie kann jemals Erfahrung gegeben werden, die einer
35 Idee angemessen sein sollte? Denn darin besteht eben das Eigen¬
tümliche der letztem, daß ihr niemals eine Erfahrung kongruieren
könne.“ Wenn er das für eine Idee hielt, was ich als Erfahrung
aussprach, so mußte doch zwischen beiden irgend etwas Vermittelndes,
Bezügliches obwalten! Der erste Schritt war jedoch getan. Schillers
40 Anziehungskraft war groß, er hielt alle fest, die sich ihm näherten;
ich nahm teil an seinen Absichten und versprach zu den Horen
manches, was bei mir verborgen lag, herzugeben; seine Gattin, die
ich von ihrer Kindheit auf zu lieben und zu schätzen gewohnt
27 Schiller lud in einem Briefe vom 13. Juni 1794 Goethe zur Mit¬
arbeit an der Zeitschrift ein; dieser erwiderte am 24. Juni a. c., er werde
„mit Freuden und von ganzem Herzen von der Gesellschaft sein“.