Full text: Deutsche Dichtung in der Neuzeit (Abt. 2)

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Anstaunte: da verweilte freundlich 
Über dem Rhein und des Rheines Ufern 
6. Sein Wonnestrahl, durchdrang mit des Urlichts Kraft 
Der rheinischen Berge Schoß. Er empfing und barg 
Die Gabe, bis aus Gold und Purpur 
Träufelte Labsal von deutschen Reben, 
7. Des Rheines wert, des Deutschen auch wert, voll Kraft, 
Zn That entflammend und zu Gesang, nicht Schaum 
Aufsprudelnd, lebenduftend, Helle 
Strahlend dem Geist und das Herz durchglühend. 
8. An beiden Ufern ranket die Freude, glüht 
Auf hohen Felsen, spielet im Blumenthal, 
Hier Kühlung aus des Alten Wogen 
Saugend, sich kräftiger dort entflammend. 
9. An beiden Ufern tönet des Deutschen Sinn 
Aus deutschem Wort, dem edelsten Weine gleich; 
Und dir, o Rhein, ist unsre Sprache 
Reich, wie dein Strom, mit geheimen Tiefen; 
10. Vom eitlen Nachbar, der sich in Schaum berauscht, 
Verstanden nimmer, nimmer empfunden. Laßt 
Ihm seinen Schaum im Becher, ihm die 
Sprache, die an der Empfindung hinstreift! 
11. Ihn haben Schrecken Gottes und deutsches Herz — 
Heuschrecken gleich, die oft mit der Fackel Glut 
Der Landmann vor sich scheuchet, bis ihr 
Schwirrender Schwarm in den Rhein sich stürzet — 
12. So haben Schrecken Gottes und deutsches Herz 
Des Drängers Horden, welcher der Herrschaft sich 
Bei uns vermaß, ihn selbst, den Dränger, 
Her von der Oder bis hin zum Rhodan 
13. Geschreckt, verfolgt, zerstiebet! Er windet sich 
Und fleht um Frieden! Friede, ja Friede sei 
Dem eitlen Volk, in alter Grenze; 
Aber dem Deutschen sei deutsche Freiheit, 
14. So weit die Sprache tönet, die trauliche, 
Die fromme, hehre; sie, der Empfindung, sie 
Gespielin des Gesangs, der frei im 
Tanze wie Sphärengesang einherschwebt! 
Matthias Glaudius. 
M. Claudius, geb. 1740 zu Reinfeld bei Lübeck, studierte in Jena 
anfangs Theologie, dann wegen eines Brustübels Rechtswissenschaft, beschäf¬ 
tigte sich aber auch mit alter und neuer Litteratur. Im Jahre 1764 trat 
er bei einem Grafen Holstein in Kopenhagen als Privatsekretär ein; dann 
lebte er mehrere Jahre, mit der Herausgabe einer Wochenschrift „Wands¬ 
becker Bote" 1770—75 beschäftigt, in Wandsbeck. Im Jahre 1775 wurde er 
auf Herders Empfehlung nach Darmstadt gezogen als Oberlandeskommissarius, 
nahm aber schon nach Jahresfrist seine Entlassung und kehrte nach Wandsbeck
	        
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