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IV. 39. Lazarus:
Umstände und Verhältnisse, welche auf den näheren und entfernteren
Gegenstand seiner Handlung Bezug haben, bei seinem Benehmen Rücksicht
nimmt. Wenn einer alles, was bei einem Verhältnis irgend in Anschlag
kommen kann, sich vergegenwärtigt, in Betracht zieht, und bei seinem Handeln
berücksichtigt, so handelt er notwendig taktvoll. Der Takt ist also zunächst
sichere, umfassende Aufmerksamkeit eines Menschen auf alles, was den
Gegenstand seines augenblicklichen Lebens betrifft.
10 Mag der Takt zur Erscheinung kommen, in welchem Gebiete er wolle,
sei es als theoretischer Takt in der Entdeckung eines gewissen logischen oder
kritischen Verhältnisses, sei es als praktischer Takt im sittlichen und geselligen
Handeln, oder als künstlerischer Takt in Schöpfung und Gestaltung jeglicher
Art, immer wird er eine genaue Kenntnis und Berücksichtigung aller be¬
züglichen speziellen Umstände einschließen, im Unterschiede von dem taktlos
Flüchtigen und im völligen Gegensatz zum Zerstreuten, also völlig Unauf¬
merksamen; denn diese gewinnen nur unvollkommene Anschauung, erregen Ver¬
letzung und Anstoß und schaffen mangelhafte Gebilde.
11 Befindet sich jemand z. B. in Gesellschaft, so soll er nicht bloß im all¬
gemeinen auf die Gegenwart aller Anwesenden Rücksicht nehmen, er soll in
seinem Gespräch die Verhältnisse aller, so weit sie ihm bekannt sind, sich
vergegenwärtigen, daß er niemand verletze. Der Gegenstand des Gesprächs
kann in uns einen Gedanken erwecken, welchem jeder beistimmen würde, wenn
wir bloß auf die Sache achteten; die Rücksicht auf ein vielleicht fernliegendes
Verhältnis einer anwesenden Person aber kaun erfordern, den Gedanken
dennoch unausgesprochen zu lassen oder nur mit Vorbehalt kundzugeben. Die
ganze Gesellschaft kann z. B. über irgend einen Stand, eine Person eine be¬
gründete verächtliche Meinung hegen, sie darf ihr dennoch keine Worte leihen,
wenn auch nur der Großvater eines Gegenwärtigen bekanntermaßen diesem
Stande angehört hat, oder jene verachtete Person gewesen ist.
12 Der Dichter zeigt dann einen feinen intuitiven Takt, wenn er nicht bloß
die offenbaren, einfachen, jedem Auge sichtbaren, sondern auch die innersten,
fernsten und feinsten Bezüge seiner Gestalten sowohl untereinander als zur
poetischen Wahrheit entdeckt und darstellt.
13 Der pädagogische Takt wird auf alle früheren und gegenwärtigen Äuße¬
rungen des aufkeimenden Charakters im Kinde achten, alle Familienbeziehuugen
erwägen, die Folgen des einen oder anderen Verfahrens berechnen.
14 Im Dienste der Klugheit wie im Dienste der Schönheit und Sittlichkeit
wird der Takt durch eine allseitige Aufmerksamkeit das Ziel erreichen. Jorik
war auf seine empfindsame Reise, wie es sich für eine solche nicht anders
schicken mag, ohne Paß gegangen, was in Paris, zumal weil Frankreich und