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Honig hat er! Gewiß mit allem eurem Geschlechte 
Saht ihr niemals so viel beisammen." Da lüstet' es Braunen 
70. Uebermäßig nach dieser geliebten Speise. „O führt mich," 
Rief er, „eilig dahin, Herr Oheim, ich will es gedenken! 
Schafft mir Honig, und wenn ich auch nicht gesättiget werde." 
„Gehen wir," sagte der Fuchs, „es soll an Honig nicht 
fehlen; 
Heute bin ich zwar schlecht zu Fuße, doch soll mir die Liebe, 
75. Die ich Euch lange gewidmet, die sauern Tritte versüßen. 
Denn ich kenne Niemand von allen meinen Verwandten, 
Den ich verehrte wie Euch! Doch kommt! Ihr werdet dagegen 
An des Königes Hof am Herren-Tage mir dienen, 
Daß ich der Feinde Gewalt und ihre Klagen beschäme. 
80. Honigsatt mach' ich Euch heute, so viel Ihr immer nur tragen 
Möget." — Es meinte der Schalk die Schläge der zornigen 
Bauern. 
Reineke lief ihm zuvor, und blindlings folgte der Braune. 
Will mir's gelingen, so dachte der Fuchs: ich bringe dich heute 
Noch zu Markte, wo dir ein bittrer Honig zu Theil wird. 
85. Und sie kamen zu Rüsteviel's Hofe; das freute den Bären, 
Aber vergebens, wie Thoren sich oft mit Hoffnung betrügen. 
Abend war es geworden, und Reineke wußte, gewöhnlich 
Liege Rüsteviel nun in seiner Kammer zu Bette, 
Der ein Zimmermann war, ein tüchtiger Meister. Im Hofe 
90. Lag ein eichener Stamm; er hatte, diesen zu trennen, 
Schon zwei tüchtige Keile hineingetrieben; und oben 
Klaffte gespalten der Baum fast ellenweit. Reineke merkt' es, 
Und er sagte: „Mein Oheim, in diesem Baume befindet 
Sich des Honigs mehr, als Ihr vermuthet; nun stecket 
95. Eure Schnauze hinein, so tief Ihr möget. Nur rath' ich, 
Nehmet nicht gierig zu viel, es möcht' Euch übel bekommen." 
„Meint Ihr," sagte der Bär, „ich sei ein Vielfraß? mit 
nichten! 
Maß ist überall gut, bei allen Dingen." Und also 
Ließ der Bär sich bethören und steckte den Kopf in die Spalte 
100. Bis an die Ohren hinein und auch die vordersten Füße. 
Reineke machte sich dran, mit vielem Ziehen und Zerren 
Bracht' er die Keile heraus; nun war der Braune gefangen, 
Haupt und Füße geklemmt; es half kein Schelten noch 
Schmeicheln. 
Vollauf hatte der Braune zu thun, so stark er und kühn war, 
105. Und so hielt der Neffe mit List den Oheim gefangen. 
Heulend plärrte der Bär, und mit den hintersten Füßen 
Scharrt' er grimmig und lärmte so sehr, daß Rüsteviel 
aufsprang.
	        
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