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Eduard Friedrich Pöppig,
geb. 1798 zu Leipzig.
126. Die Anden.
Der Charakter der Anden ist in hohem Grade von dem
verschieden, den wohl Jeder nach kurzem Besuche als den bezeich¬
nenden der Schweiz und Tyrols erkennt. Grausenhafte Einöde,
völlige Nacktheit der unermeßlichen Felswände, ein riesiger Ma߬
stab, der nirgends zu verkennen ist, spärliche Vegetation der
schluchtähnlichen Thäler, fortdauernde Zerstörung und Herabrollen
der in. endloser Gleichförmigkeit und Kahlheit sich ausdehnenden
Bergwände, und eine furchteinflößende Wildniß, welche nirgends
durch freundlichere Scenen unterbrochen wird, solche sind die er¬
sten und. auffallenden Züge in dem ungewöhnlichen Bilde. In
den Umrissen der Alpen herrscht eine außerordentliche Mannig¬
faltigkeit, ein Pik erhebt sich da über den andern, und neben
dem Abgerundeten Dome tritt die Form der spitzen Pyramide
und grotesk zerrissener Joche auf. Nicht so in den Anden, die
in der Ferne und in der Nähe stets als eine ungetheilte Wand
erscheinen, über die nur in seltneren Fällen einzelne Spitzen her¬
vorragen. ^ Ihre einzelnen Gruppen liegen als unermeßliche, aber
gleichförmige Massen da, an denen sich ein sonderbarer Ausdruck
der Starrheit und der Trägheit bemerklich macht. Aber gerade
der Umstand, daß die Natur es zu verachten schien, hier durch
Contraste den Ausdruck des Großartigen hervorzubringen oder
zu erhöhen, veranlaßt es, daß die Anden einem Jeden weit mehr
imponiren als die Alpen; allein er bringt es auch hervor, daß
nur selten für späte Folgezeit ein getreues Bild ihrer Scenen
bleibt. In den Alpen Europa's strecken breite grünende Thäler
sich hin zwischen den Hochgebirgen, auf denen eine heitere Vege¬
tation sich bis an die unmittelbare Grenze des ewigen Schnees
fortsetzt. Laubholz in vereinzelten Gruppen wechselt mit den aus¬
gedehnteren Forsten von Tannen und Fichten. Gletscher glänzen
blau von den höchsten Zacken der Gebirgskämme, und in den
ausgedehnten Thälern liegen nicht selten ruhige Seen mit frucht¬
baren Ufern. Von alle Diesem zeigen die Anden dem Beschauer
Nichts. Braune, graue und gelbliche Mitteltinten sind über das
Gebirge überall verbreitet, wo nicht der ewige Schnee weiße,
horizontal scheinende Ebenen bildet, oder die größere Entfernung
ihren mildernden bläulichen Dunst verbreitet. Grell leuchtet hier
und da der hochrothe Porphyr von den halbzerstörten Jochen,