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Es war dieselbe Geschwisterschaft, der ich schon den Tag zuvor
eine Kleinigkeit gegeben hatte. „Ich habe Euch ja schon gestern
gegeben!" — „Nein, Herr, nein! Nein!" — „Nun, ich will
Euch noch ein Stück geben. Das könnt Ihr unter Euch thei¬
len." — „Dai pan! Dai pan!" „Wer ist der Aelteste unter
Euch?" — „Der, der!" — „Traut Ihr ihm?" — „Wärim!
wärim!" (Wir trauen, wir trauen!) — Als ich ihnen Etwas
gegeben hatte, liefen sie, ohne sich weiter um mich zu bekümmern,
gleich zum nächsten Russen, und kauften sich süße Pflaumen und
Bonbons, nackt, wie sie waren, das Rabenvolk! Dann ging der
Trödel schreiend und sich streitend die Straße weiter. Ein Fuhr¬
mann, dem sie unter die Füße liefen, klatschte mit der Peitsche
dazwischen. Alles schrie und spie auf ihn, und so ging es mit
fliegenden Haaren die Straße hinunter. Das älteste Mädel trug
noch ein ganz kleines Kind auf dem Arme. Ueberall, wo der
Hause mit Andern in Streit gerieth, legte sie das Kind mitten
auf die Straße in den Staub hin und stritt und zankte sich mit.
Ich sah nie so wildes und flüchtiges Gesindel! Die tatarischen
Zigeuner sind alle von dieser Art. Die moldauischen stehen schon
viel höher, und sehen mit großer Verachtung aus ihre krim'schen
Brüder herab. Uebrigens findet man oft sehr schöne Gestalten
unter ihnen, mit Augen wie Kohlen, mit Haar wie Raben-
gesteder, und besonders mit sehr edel geformtem Wüchse, wie
bronzene Statuen.
Nicolaus Niembsch Edler von SLrehlmau,
gen. Nie. Lenau,
geb. den 13. Aug. 1802 zu Csatäd unweit Temeswar, studirte in Ofen,
dann auf der Universität zu Wien, erst Philosophie, dann Jurisprudenz,
hieraus Medicin, verließ 1831 Oesterreich, lebte eine Zeitlang in Schwaben,
raufte sich 1832 in Amerika an, kehrte aber schon 1833 nach Europa zurück,
lebte nun abwechselnd in Wien und Stuttgart, verfiel 1844 in Geistes¬
krankheit, starb den 22. Aug. 1850 zu Wien im Irrenhause. — Balladen
(Der Postillon. V. 102. Die drei Indianer. VI. Die Werbung. VI.).
Lyrische Gedichte, Dramatisches.
129. Die drei Indianer.
1. Mächtig zürnt der Himmel im Gewitter,
Schmettert manche Rieseneich' in Splitter,
Uebertönt des Niagara Stimme,
Und mit seiner Blitze Flammenruthen