Full text: Handbuch für den deutschen Unterricht in den oberen Klassen der Gymnasien (Theil 2)

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flört# der Liter,nurgesKichre 
besonders in der Lyrik, als dem natürlichen 
Felde des ewig jungen Herzens. Denn daß 
zu jeder Zeit Poesie waltet und ihr Funke 
auch zwischen Trümmern nicht erlischt, son¬ 
dern bald hier, bald da neue Gräser und 
Blumen hervordrängen kann, das hat einer 
dieser neueren Dichter (Anast. Grün) selbst 
gesungen mit den Worten: „Und singend einst 
und jubelnd, Durchs alte Erdenhaus, Zieht als 
der letzte Dichter Der letzte Mensch hinaus." 
Zusatz. Abgesehen von den unter Nr. 
16 genannten falschen Richtungen, die sich 
im Allgemeinen auf die sogenannte jung- 
deutsche zurückführen lassen und mehr oder 
minder bis auf die neueste Zeit in den ver¬ 
schiedensten Formen und Stoffen sich verzwei¬ 
gen, gibt es keine besonders hervortretende 
Erscheinungen, wonach sich die einzelnen Dich¬ 
ter gruppiren lassen. Daher pflegt man sie 
gewöhnlich nach landschaftlichen Gruppen 
aufzuzählen, und spricht von einem schwäbi¬ 
schen, rheinischen, westphälischen, preußischen, 
östreichischen, baierischen,sächsischen, schlesischen 
u. s. w. Dichterkreise. Der bedeutendste dar¬ 
unter ist entschieden der östreichische, an 
dessen Spitze Anastasius Grün (Alex. Graf 
v. Auersperg, geb. 1806) und Nik. Lenau 
(Niemsch v. Strelenau, 1802 — 1850); so¬ 
dann : Seidl, Vogl, Halm (v. Münch-Belling- 
hausen), Ebert, Lettner, Feuchtersleben u. a. 
Don den übrigen Dichtern (abgesehen von der 
unseligen Flut der Romanen- und Novellen-, 
so wie der Theateramusements-Schreiber, die 
mehr oder minder in Ein Sieb gehören) sind 
besonders zu Namen gekommen: Hoffmann 
von (aus) Fallersleben, Kopisch, Gaudy, Sim- 
rock (als Uebersetzer des Mittelhochdeutschen), 
Freiligrath, Moser, Stöber (a. Straßburg), 
Geibel, Redwitz u. a. Uebrigens müßte einer 
blind sein, wenn er nicht erkennen wollte, daß 
die gesammte neueste Dichterwelt dereinst nur 
zum Epigonengeschlecht gezählt werden wird, 
und daß das wahrhaft Werthvolle nicht so¬ 
wohl in einzelnen namhaften Größen sich 
concentrirt, sondern mehr sporadisch sich fin¬ 
det. Im Ganzen gibt es vielfach poetischen 
Anlauf, aber selten poetische Durchführung. 
§. 25. Die Prosa. 
Die reine Prosa ist die natürliche Sprache 
des Menschen nach dem Maße seiner gesumm¬ 
ten Geistesbildung. Daher richtet sie sich 1. nach 
dem Stande der allgemeinen gebildeten Sprach- 
form; 2. nach der persönlichen Geistes¬ 
befähigung des Schreibenden; 3. nach der 
Sorgfalt, die der Schreibende seiner sprachlichen 
Darstellung widmet. Die hochdeutsche Sprach 
sorm hatte sich mit dem Beginn der gegen¬ 
wärtigen Periode im Allgemeinen festgesetzt; 
die Sprache eines Mosheim (S. 682) ist 
auch heute noch die Sprache der gebildeten 
Schreibart, wenn auch im Einzelnen fort¬ 
während eine, gleichsam organische Entwicke¬ 
lung bei jeder Sprache Statt findet. Daher ist 
es besonders die persönliche Geislesbefähigung, 
woran sich die prosaischen Leistungen während 
dieser Periode knüpfen, und es fallen dieselben 
im Ganzen zusammen mit den Leistungen in 
den einzelnen Wissenschaften selbst. Die Haupt¬ 
führer in den verschiedenen Richtungen, die 
Dichter mit eingeschlossen, haben meistens auch 
einen entsprechenden Charakter in ihrer pro- 
i falschen Darstellung, und sollten das eigentlich 
immer haben, insofern die Prosa ja nur ein 
reiner Abdruck der Gedanken und der Gedanken¬ 
klarheit ist. Allein da tritt als Hinderniß der 
genannte dritte Punkt ein: das Maß der 
Sorgfalt, welches der sprachlichen Darstellung 
gewidmet wird. Dieses Maß ist entweder: 
1. ein zu geringes; man sieht es deutlich, 
daß der Schriftsteller sich hat gehen lassen und 
es wohl hätte besser machen können; 2. ein 
übertriebenes, falschberathenes; dahin gehört 
die steifgezwängte, die affectirt gedrängte, die 
gesucht verschränkte, die geblümt poetisirende 
und die windig rhetorisirende Prosa. An 
allem dem ist die Deutsche Literatur reich, und 
die gespreizten Romane, wie die bodenlose 
Philosophie haben dabei fleißig geholfen. Reich 
aber ist sie auch an solchen Darstellungen, die 
eine wahrhafte Gedankenfülle in reinster 
Sprache bald mit ruhiger Klarheit, bald mit 
greifendem Feuer von Geist zu Geist, von 
Herz zu Herzen tragen.
	        
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