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3. „Unter den Linden."
Vor uns lag jetzt die Straße „Unter den Linden", die schönste
Berlins. In einer Breite von 50 in dehnt sie sich 1 km lang aus
bis zum Tiergarten hin. Wir gedachten jenes Frühlingstages im
Jahre 1871, als durch diese Straße, begrüßt von dem Jubel vieler
Tausende, die siegreichen Truppen unter Führung Kaiser Wilhelms I.
ihren Einzug hielten. Wir dachten aber auch an die düstre Pracht,
die diese Straße angelegt hatte, als man am bitterkalten 16. März
des Jahres 1888 die entseelte Hülle des greisen Heldenkaisers durch
sie zu Grabe führte.
Dort, wo die Doppelallee von Linden beginnt, die der Straße
ihren Namen gibt, erhebt sich das herrliche Denkmal Friedrichs
des Großen, ein Meisterwerk Rauchs. Es steht inmitten der Straße,
gerade vor dem Palais Wilhelms 1. Wir standen lange vor dem
einfachen Heim des großen Herrschers. In unsrer Erinnerung
tauchten jene Tage auf, wo mittags beim Aufziehen der Wache
Tausende hier zusammenströmten, um den Kaiser, der dann stets
am Fenster stand, mit brausenden Hochrufen zu begrüßen. Auch
jener Nacht erinnerten wir uns, als wieder eine dichtgedrängte
Menge das Palais umgab, diesmal aber stumm, die bangen Blicke
nach den matterhellten Fenstern gerichtet, hinter denen der kaiser¬
liche Greis mit dem Tode rang.
4. Die Friedrichstraße.
Die Straße „Unter den Linden" wird etwa in ihrer Mitte von
der genau von Norden nach Süden führenden Friedrichstraße
durchschnitten. Sie ist eine der längsten Straßen Berlins. Ein
mäßiger Fußgänger würde, um sie ganz zu durchwandern, gegen
drei Viertelstunden brauchen. Ein außerordentlich reges Leben
herrscht hier zu jeder Tageszeit. Auf den Granitsteigen, die sich an
den Häusern hinziehen, drängen sich die Fußgänger. Auf der Asphalt¬
bahn, die den Fahrweg bildet, rollen Fuhrwerke aller Art dahin,
darunter im Norden und Süden die mit Menschen dicht besetzten
Wagen der Straßenbahn. Oft ertönt die Warnungsglocke, säumige
Fußgänger, die den Fahrweg überschreiten, zur Eile mahneud. Die
Straße hinauf und hinunter jagen prächtige Kutschwagen, schnelle
Autos und einfache Droschken, von denen Berlin gegen 8000 besitzt.
Hier und dort bewegt sich ein schwerfälliger Omnibus, von dessen
Verdeck die Fahrgäste auf das Gewirr zu ihren Füßen behaglich
niederschauen. Wo Hauptstraßen sich kreuzen, hält auf stattlichem
Roß ein Schutzmann und sorgt dafür, daß in dem Verkehre keine
Störung eintritt. Plötzlich ertönt ein schrilles Läuten in der Ferne;