III. Fabeln und Parabeln.
64. Die zwei Freunde.
August Gottlieb Meißner uach Asop.
Zwei Freunde reisten zusammen und hatten sich fest verbunden,
in allen Fällen einander treulich Beistand zu leisten. Plötzlich begegnete
ihnen ein Bär; ihm zu entlaufen war unmöglich; doch mit vereinten
Kräften wären sie vielleicht seiner Meister geworden. — Aber kaum
erblickte ihn der eine, so kletterte er, so schnell er konnte, auf einen
nahen, hohen Baum. Der zweite hingegen, der sich im Stiche gelassen
sah, warf sich mit dem Gesicht platt auf den Erdboden hin und hielt
sorgfältig den Odem an, weil er oft gehört hatte, das; der Bär keine
toten Körper verzehre. — Auf ihn kam auch jetzt das furchtbare Tier
geraden Wegs zu, beroch und beleckte ihn lange Zeit, hielt ihm die Nase
an Mund und Ohren, ließ ihn aber gleichwohl endlich unverletzt liegen,
weil es gar kein Leben in ihm verspürte. — Kaum war der Bär in
den Wald zurück, und die Gefahr vorüber, als jener Flüchtling vom
Baum herunterstieg und mit höhnischem Lächeln seinen Geführten fragte,
was das Tier ihm Gutes ins Ohr gewispert habe. — ,,Wahrlich, eine
sehr gute Lehre," antwortete dieser, ,,die ich wohl früher schon gewußt
zu haben wünschte, denn er riet mir: Laß dich nie-mit Leuten ein,
die ihre Freunde zur Zeit der Not verlassen!"