457
alte Baum, der es den ganzen Sommer lang trug auf seinem starken
Haupte und ihm Kraft und Nahrung hinausreichte, weiß nichts davon,
wie lang' es noch dauern mag, bis es unterm Schnee eine sichere Ruhe¬
stätte findet oder auf den goldschwarzen Grund eines Waldteiches hinab¬
sinkt. Es war ja nur eines unter den Millionen seiner Geschwister.
249. Elternfreuden und Elternsorgen der Bögel.
William Marshall.
Sind nach Sprengung des Eies, des engen Kalkgefängnisses, die
Kleinen an das Licht der Welt hervorgekrochen, so beginnt für die
Eltern erst recht eine Zeit der Sorge, aber auch der Freude.
Wie sind die alten Kanarienvögel entzückt, wenn eines schönen
Morgens das erste Piepmätzchen im Neste liegt, wie zwitschern sie ihm
entgegen in Tönen, die man sonst niemals von ihnen zu hören bekommt.
Und doch, — es gehören Elternaugen dazu, das Ding nur leidlich zu
finden. Es ist ein armseliges, nacktes, blindes Geschöpf mit unförmlich
dickem Bauch und großem, wackelndem Kopf, den es zitternd nicht
aufrecht zu erhalten vermag. Za, eigentlich ist es, bei Lichte besehen, ein
kleines Scheusälchen, wie es da unbehilflich piepend und murksend sich
wälzt und seinen ungeheuren Rachen mit dickem, gelbem Rande aufreißt.
Die Kanarienmama findet sich mit weiblichem Instinkte bald und leicht
in die neue Lage, aber äußerst komisch ist der Hahn, namentlich wenn
ihm Vaterfreuden zum ersten Male in seinem Leben blühen. Er weiß
offenbar gar nicht recht, was er davon denken soll; so hatte er sich
seine Nachkommenschaft denn doch nicht vorgestellt, und von allen Seiten
beguckt er sich den Wechselbalg immer wieder mit erstaunten Augen.
Aber die Mama entzieht ihm bald den ungewohnten Anblick, denn
sie setzt sich jetzt wärmend, trocknend und schützend über den armen,
nassen Nacktfrosch, sie ,,hudert" ihn. Das Hudern oder Nachbrüten
dauert bei den Nesthockern mehrere Tage, während die Nestflüchter schon
nach wenigen Stunden damit fertig sind.
Ist nun die kleine Gesellschaft beisammen, so geht der wahre Tanz
erst los! Haben sie auch sonst nicht viel mit auf die Welt gebracht,
eine Eßlust entwickeln sie, die großartig ist und die Alten vom Tages¬
anbruch bis zum Abend nicht recht zu Atem kommen läßt. Lieber
Himmel! wie müssen die Tierchen arbeiten ums tägliche Brot für sich
und ihre Kinder, und wie gern und unermüdlich tun sie es! Ich kenne