Full text: (Sechstes und siebentes Schuljahr) (Teil 3 für Kl. 4 u. 3)

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alte Baum, der es den ganzen Sommer lang trug auf seinem starken 
Haupte und ihm Kraft und Nahrung hinausreichte, weiß nichts davon, 
wie lang' es noch dauern mag, bis es unterm Schnee eine sichere Ruhe¬ 
stätte findet oder auf den goldschwarzen Grund eines Waldteiches hinab¬ 
sinkt. Es war ja nur eines unter den Millionen seiner Geschwister. 
249. Elternfreuden und Elternsorgen der Bögel. 
William Marshall. 
Sind nach Sprengung des Eies, des engen Kalkgefängnisses, die 
Kleinen an das Licht der Welt hervorgekrochen, so beginnt für die 
Eltern erst recht eine Zeit der Sorge, aber auch der Freude. 
Wie sind die alten Kanarienvögel entzückt, wenn eines schönen 
Morgens das erste Piepmätzchen im Neste liegt, wie zwitschern sie ihm 
entgegen in Tönen, die man sonst niemals von ihnen zu hören bekommt. 
Und doch, — es gehören Elternaugen dazu, das Ding nur leidlich zu 
finden. Es ist ein armseliges, nacktes, blindes Geschöpf mit unförmlich 
dickem Bauch und großem, wackelndem Kopf, den es zitternd nicht 
aufrecht zu erhalten vermag. Za, eigentlich ist es, bei Lichte besehen, ein 
kleines Scheusälchen, wie es da unbehilflich piepend und murksend sich 
wälzt und seinen ungeheuren Rachen mit dickem, gelbem Rande aufreißt. 
Die Kanarienmama findet sich mit weiblichem Instinkte bald und leicht 
in die neue Lage, aber äußerst komisch ist der Hahn, namentlich wenn 
ihm Vaterfreuden zum ersten Male in seinem Leben blühen. Er weiß 
offenbar gar nicht recht, was er davon denken soll; so hatte er sich 
seine Nachkommenschaft denn doch nicht vorgestellt, und von allen Seiten 
beguckt er sich den Wechselbalg immer wieder mit erstaunten Augen. 
Aber die Mama entzieht ihm bald den ungewohnten Anblick, denn 
sie setzt sich jetzt wärmend, trocknend und schützend über den armen, 
nassen Nacktfrosch, sie ,,hudert" ihn. Das Hudern oder Nachbrüten 
dauert bei den Nesthockern mehrere Tage, während die Nestflüchter schon 
nach wenigen Stunden damit fertig sind. 
Ist nun die kleine Gesellschaft beisammen, so geht der wahre Tanz 
erst los! Haben sie auch sonst nicht viel mit auf die Welt gebracht, 
eine Eßlust entwickeln sie, die großartig ist und die Alten vom Tages¬ 
anbruch bis zum Abend nicht recht zu Atem kommen läßt. Lieber 
Himmel! wie müssen die Tierchen arbeiten ums tägliche Brot für sich 
und ihre Kinder, und wie gern und unermüdlich tun sie es! Ich kenne
	        
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