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verfolgen. Dem Registrator aber konnte er nicht offen ins Angesicht sehen,
und es wäre ihm am liebsten gewesen, der wäre weit versetzt worden.
Ein böses Gewissen ist eben wie ein Ofen, der immer raucht. Der Regi¬
strator aber trieb's nach wie vor; nur war's ihm jetzt leichter ums Herz;
denn er durste frisch von der Leber heraus reden und mit seinen Buben
nach Herzenslust singen von Blücher und Scharnhorst und Gneisenau.
Da fiel ihm einmal ein kleines Erbteil unverhofft zu. Schon lange
hatte er sich gewünscht, einmal aus seinen Aktenkasten herauszukommen
und die Welt zu sehen. Dazu kam uoch ein reiselustiger Neffe gezogen,
der dem Onkel keine Ruhe ließ, er solle mit ihm nach Paris gehen.
Zuerst wollte er nicht recht dran, weil's gerade Paris war; aber dann
dünkte es ihm doch so schön, dahin zu gehen, um die Stadt zu sehen,
die die Deutschen eingenommen hatten. Er packte seinen großen Mantel¬
sack und nahm Abschied von Weib und Kind für einige Zeit.
In Frankreich war's Ruhe geworden. Napoleon war auf der Insel
St. Helena gestorben in großer Einsamkeit, wo er den Spruch hat ver¬
stehen lernen können, daß Gott den Demütigen Gnade gibt, wenn sie
wollen demütig sein. So war für den Registrator keine Gefahr mehr
da. Die beiden Reisenden zogen über Straßburg nach Paris, wo sie nach
acht Tagen ankamen. Da war denn allerlei zu sehen. Denn so schön
hatte sich der Registrator Paris doch nicht gedacht, und er mußte sich oft
ausruhen, so müde machte ihn das viele Sehen. So saßen die Reisenden
anr zweiten Abend nach ihrer Ankunft in einem Kaffeehause, um sich ein
wenig zu stärken. Sie setzten sich still in eine Ecke und schauten sich das
französische Wesen an. In einein geöffneten Nebenzimmer saß eine
Gesellschaft Herren, meistens ausgediente Militärs, die lebhaft miteinander
sprachen, und gerade von den Deutschen und ihren Fehlern. Da wußte
denn einer mehr als der andere. Der eine schalt sie dumm, der andere
grob, der dritte unmanierlich, und so ging's fort. Im Registrator regte
sich wieder etwas von der bekannten Stimmung von damals, und er
hätte fast Lust gehabt, auf seine Art mitzusprechen. Der Neffe aber
hielt ihn zurück: „Herr Onkel, bedenken Sie, daß wir in Frankreich sind!
Das könnte leicht blutige Köpfe geben, und wir müßten am Ende noch
zum Städtlein hinaus." Und er ließ sich beschwichtigen. Aber noch
mehr beschwichtigte ihn, was er nun hörte.
„Ja, ihr Herren," sagte ein kurzer, dicker Herr in nobler Kleidung
und mit dem Ehrenlegionskreuz aus der Brust, „das mag wahrhaftig
wahr sein, daß die Deutschen grob sind. Wenn ich nur daran denke,
so tun mir noch alle Glieder weh. Aber das muß ich sagen, ehrlich
sind sie, Respekt davor! Da komme ich Anno dreizehn durch ein klein
Städtchen und will Fourage haben und bin aufgetreten wie ein Menschen¬
fresser und hab' räsonniert, als der Mann, ein großer, ellenlanger
deutscher Kerl, nicht dran gewollt hat. Und ich will so ein klein Manöver