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habe ich täglich im Überflüsse.“ Indes kommt der Kellner und
rumpelt mit den Schlüsseln an der Tür. Die Mäuse erschrecken
und laufen davon. Die Stadtmaus fand bald ihr Loch; aber die
Feldmaus wußte nicht wohin, lief ängstlich die Wand auf und ab
und brachte kaum ihr Leben davon.
2. Als der Kellner wieder hinaus war, sprach die Stadtmaus:
„Es hat nun keine Not mehr; laß uns wieder guter Dinge sein!“
Die Feldmaus antwortete aber: „Du hast gut reden; du wußtest
dein Loch schon zu finden, während ich schier vor Angst gestorben
bim Ich will dir sagen, was meine Meinung ist: Bleibe du eine
reiche Stadtmaus und friß Würste und Speck; ich will ein armes
Feldmäuslein bleiben und meine Eicheln essen. Du bist reich,
aber keinen Augenblick sicher vor dem Kellner, vor den Katzen,
vor den Fallen; ich aber daheim bin sicher und frei in meinem
winzigen Feldlöchlein.“ Äsop.
213. Vom Mäuslein.
Die Köchin spricht zum Koch: „Fang mir das Mäuslein doch!
Es ist nichts sicher in IvüclT und Keller, nicht in der Schüssel,
nicht auf dem Teller. Wo’s was riecht, da ist es gleich; wo’s was
kriegt, da frißt es gleich; wo ein Braten dampft, kommt das Mäus¬
lein und mampft. Unter der Bank in den Küchenschrank hat es
gebissen ein Loch. Koch, fang mir das Mäuslein doch und jag
es wieder aus dem Haus in das freie Feld hinaus!“ Da macht
der Koch ein Gesicht und spricht: „Mäuslein, Mäuslein, bleib in
deinem Häuslein! Nimm dich in acht heut nacht! Mach auch
kein Geräusch und stiehl nicht mehr das Fleisch; sonst wirst du
gefangen und aufgehangen.“ Der Koch aber deckt zu alle Schüsseln
und stellt auf die Falle hinten im Eck und tut hinein den Speck,
sperrt die Küche zu, geht und legt sich zur Buh'; das Mäuslein
aber ist ruhig und wispert leis: „Das tu' ich.“ Aber es hat nicht
lang’ gedauert, so kommt schon das Mäuslein und lauert und sagt:
„Wie riecht der Speck so gut! Wer weiß, ob’s was tut? Nur ein
wenig möcht’ ich beißen, nur ein wenig möcht’ ich speisen. Ein¬
mal ist keinmal.“ So spricht fein Mäuslein und schleicht, bis es
die Falle erreicht, duckt sich und bückt sich, schmiegt sich und
biegt sich, ringelt das Schwänzlein wie ein Kränzlein, setzt sich
ins Eck und ergötzt sich am Speck, reißt, beißt und speist.
Platsch, tut’s einen Knall, und zu ist die Fall’. Das Mäuslein
zittert vor Schrecken und möcht’ sich verstecken. Aber wo es will
hinaus, ist zugesperrt das Haus. Es pfeift und zappelt, es kneift
und krabbelt. Überall ist ein Gitter, und das ist bitter; überall