148
VI. Griechische Sagen.
Äalt, dachte er, das sind Menschen! Aber wehe mir, was für
Menschen werden es sein? Anmenschliche Räuber vielleicht und rohe
Barbaren, die meine Sprache nicht verstehen und von Göttern und Gast¬
freundschaft nichts wissen. Aber, ging es ihm wieder durch den Sinn,
es klang ja wie Mädchengekreisch, und sie lachten so herzlich; gefährlich
kann das nicht sein. Ich will doch hervorkriechen und die Menschen¬
kinder besehen. Er wand sich aus dem Dickicht heraus, schüttelte das
Laub von sich, und weil er ganz unbekleidet war und sich billig schämte,
nackt vor ihnen zu erscheinen, so brach er sich mit nerviger Faust einen
buschigen Zweig ab und hielt ihn vor den Leib, um seine Blöße damit
zu decken. So kam er wie ein wildes Waldungeheuer hervor. Die
Mädchen, die ihn von ferne kommen sahen, erschraken, schrien laut auf
und liefen davon. Nausikaa aber war beherzter als ihre Genossinnen.
Sie blieb ruhig stehen und erwartete den näher kommenden Mann.
Odysseus siehte sie um Kleider und weitere Äilfe an. Sofort erfüllte
sie seinen Wunsch; sie schickte ihm einige der frisch gewaschenen Ge¬
wänder, ließ ihn mit Speise und Trank erquicken und riet ihm, in die
Stadt der Phäaken zu gehen und im Palast ihres Vaters um gastliche
Aufnahme zu bitten. Dann bestieg sie mit ihren Begleiterinnen den
wäschebeladenen Wagen und fuhr in die Stadt zurück.
Die Sonne war schon untergegangen, und alles war dunkel umher,
als der Äeld sich aufmachte, um in die Stadt der Phäaken zu gehen.
Seine freundliche Schutzgöttin, Athene, geleitete ihn in der Gestalt
eines Mädchens, das mit dem Wasserkruge vom Brunnen kam, zum
Palaste des Königs. Alle bewunderten den Fremdling, dem Athene
eine Heldengestalt und blühende Zugend verliehen hatte. Schutzflehend
wandte er sich an das Königspaar, das im Kreise seiner Edlen im fest¬
lichen Saale thronte. Gütigste Aufnahme ward ihm zuteil. Anter
Schmausen und Gesang und Spielen verstrich der Abend. Als ein
Sänger am nächsten Tage beim Festmahl von Troja und von den
Heldentaten des Achill und Odysseus und von dem hölzernen Rosse er¬
zählte, da füllten sich dem Gaste die Augen mit Tränen. Lind befragt,
wer er fei, gab er sich zu erkennen.
b) Odysseus erzählt den Phäaken seine Abenteuer.
Nach Karl Friedrich Becker.
1. Die Cikonen.
„3a, ich bin Odysseus," sagte der .Feld. „Ithaka ist mein Vater¬
land, die weithin kenntliche Insel. Noch mehrere kleinere Inseln liegen
rings um sie, von denen ihr vielleicht auch gehört habt, Same, Dulichium,