— 75 —
leicht die Gespenster der in dem alten Burgverließ Um¬
gekommenen noch umgingen, dazu gehörte doch mehr als
ein gewöhnlicher Mut, und den besaß keiner von den
Burgleuten. Deshalb schlich einer nach dem andern leise
davon, so daß endlich der Ritter mit seinen beiden
Töchtern allein an dem Brunnenschächte stand, aus _ dem
leise das Winseln des Tieres heraufschallte. In diesem
Augenblicke trat der Müller Velten herzu, der auf dem
Schloßhofe nach dem Burgherrn gefragt und den man in
den Garten gewiesen hatte. Die Fuchsfellmütze in der
Hand, nahte er sich mit kriechender Unterwürfigkeit seinem
Herrn; dieser aber rief ihm entgegen: „Hast Du Mut,
Velten, so zeige es heute; laß Dich an einem Strick hier¬
in die Tiefe hinab und hole den Hnnd herauf. Bringst
Du das Tier lebendig und gesund nach oben, so soll Dir
der letzte Jahreszins geschenkt sein."
„Gnädiger Herr", grinste der Müller, „der Jahres¬
zins nicht allein — zinsfrei für mein ganzes Leben be¬
komme ich die Mühle! Ihr denkt doch daran, was Ihr
mir versprochen habt? Ich halte mein Wort, ich liefere
ihn Euch ans Messer! Aber den Hund hole ich Euch
doch herauf!" Und den in scheuer Entfernung stehenden
Knechten rief er zu: „Holla, einen Strick her, damit ich
mich daran hinablassen kann!" Eilfertig wurde nun ein
starkes, langes Tau herbeigeschafft und an einem quer
über das Loch gelegten Balken befestigt; und mit einer
brennenden Laterne am Gürtel ließ sich der Müller, ge¬
wandt wie eine Katze, in die schaurige Tiefe hinab. Ohne
Unfall kam er unten an und suchte mit dem Licht nach
dem Hunde, der sich scheu in einen dunkeln Winkel verkrochen
hatte. Es dauerte lange, ehe sich das Tier von dem un¬
bekannten Manne greifen ließ, und dabei hatte der Müller
Zeit, sich in seiner Umgebung, soweit es das unsichere
Licht der Laterne zuließ, umzuschauen. _ Endlich hatte er
den Hund ergriffen, schnell eilte er mit ihm nach der
Stelle, wo der Strick heruuterhing, ergriff ihn mit der
einen Hand, während er mit der andern den Hund fest¬
hielt, und rief den oben stehenden Leuten zu, ihn herauf-