Full text: Für die untern und mittlern Klassen (Teil 1, [Schülerband])

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Gast auch darin die Geschicklichkeit der Phäaken sehe und bewundere und 
seinen Freunden zu Hause davon erzähle!“ Sogleich standen die Schmau— 
senden auf und folgten dem Könige hinaus. Auch der blinde Sänger ging 
mit, nachdem ein treuer Diener ihm die Phorminx abgenommen und an 
den Nagel gehängt, ihn selbst aber bei der Hand gefaßt hatte. Der 
Markt füllte sich wieder mit neuem Getümmel. Die Fürsten setzten sich, 
rings umher stand das Volk, und die Jünglinge, welche ihre Kunst im 
Ringen, im Faustkampfe, im Laufen und Werfen zeigen wollten, traten in 
den weiten Kreis. Zuerst versuchten sich drei Söhne des Königs im Wett— 
laufe, und der jüngste trug den Sieg davon. Dann traten die Ringer 
auf, unter denen der tapfere Euryalus alle besiegte. Hierauf ließen sich 
die Springer sehen, auf sie folgten die Scheibenwerfer, den Beschluß 
machten die Faustkämpfer. Darauf selber zum Kampfe von dem über— 
mütigen Jünglinge Euryalus aufgefordert, nahm Odysseus die schwerste 
der metallenen Scheiben, welche zum Werfen da lagen, schwang sie am 
Riemen einigemal im Wirbel herum und schleuderte sie dann hoch in die 
Luft, daß sie weit, weit hinter den Zeichen der andern Wettkämpfer niederfiel. 
Da lief einer der Zuschauer hin und steckte an dem Orte, wohin die 
Scheibe gefallen war, einen Pfahl zum Zeichen ein, und als er wieder 
zurückkam, rief er laut: „Das Mal findet wohl ein Blinder heraus, so 
weit hat es die andern hinter sich gelassen. In diesem Kampfe kannst du 
sicher sein, darin wird es dir niemand gleich thun!“ Und die Phäaken 
schwiegen alle; keiner getraute sich mehr, den Helden herauszufordern. 
Der König aber schlug in der Versammlung vor, jedes der zwölf phäaki— 
schen Häupter solle dem Gaste ein Geschenk an Gold und ein schön gewirktes 
Ober- und Unterkleid geben; dazu wolle er selbst noch ein übriges thun, 
und so wolle man ihn fortsenden. Alle stimmten dem Könige bei und 
schickten Herolde nach Hause, die Geschenke herbeizuholen. Indes war es 
Abend geworden. Die Diener kamen mit den Geschenken auf dem Markt 
an, legten sie zusammen und trugen sie in des Königs Wohnung. Dahin 
folgte auch die ganze Schar, und die Fürsten nahmen alsbald die rings 
im Saale hingestellten Stühle ein. Als der Hunger gestillt war, wandke 
sich Odysseus an den blinden Sänger und bat ihn, da er doch alle 
Abenteuer aus dem Trojanerkriege wisse, noch das eine von dem hölzernen 
Pferde zu singen. Da sang der Alte zum Klange der Phorminx die selt— 
same Märe, nicht ahnend, daß der Held, dessen List er feierte, an seiner 
Seite lauschend saß. Aber Odysseus fand, daß er die Begebenheit der 
Wahrheit gemäß schilderte, als wäre er selber zugegen gewesen, und der 
treffliche Gesang erschütterte abermals sein Herz so, daß er nicht ruhig auf— 
sehen könnte wie die andern Gäste, sondern oft seufzte und sich verstohlen 
die Thränen in den Augen trocknen mußte. Alkinous bemerkle es wieder, 
und mit derselben Schonung wie das erste Mal gebot er dem Sänger 
Stillschweigen, worauf er den Gast fragte, wie er heiße, und welchem 
Lande er angehöre. Alle saßen in stummer Erwartung umher und sahen 
den Fremdling an.
	        
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