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„Dankbar bin ich der Musik, daß sie mich in meinen politischen Bestrebungen
wirkungsvoll unterstützt hat. Des deutschen Liedes Klang hat die Herzen gewonnen;
ich zähle es zu den Imponderabilien, die den Erfolg unserer Einigkeitsbestrebungen
vorbereitet und erleichtert haben. Wenige der Herren dürfen alt genug sein, um sich
der Wirkung zu erinnern, die 1841 das Veckersche Rheinlied erzielte. Damals war
dieses Lied mächtig, und bei der Schnelligkeit, mit der es von der Bevölkerung, die
meist noch partikularistisch war, aufgegriffen wurde, hatte es die Wirkung, als ob wir
ein paar Armeekorps mehr am Rheine stehen hätten, als es tatsächlich der Fall war.
Näher liegt uns der Erfolg der Macht am Rhein'. Wie manchem Soldaten hat die
Anstimmung dieses Liedes auf dem winterlichen Kriegsfelde und bei materiellem Mangel
vor dem Feinde eine wahre Herzensstärkung gewährt, und das Herz und dessen Stimmung
ist ja alles im Gefechte. Die Kopfzahlziffern machen es nicht, wohl aber die Be¬
geisterung machte es, daß wir die Schlachten gewonnen haben."
Die Imponderabilien, die Bismarck in ihrer Wirkung ungeschmälert
wissen will, sind die ewigen idealen Güter der Menschheit, sind
Religion, Naturliebe, Kunst, Wissenschaft; es sind die Güter und
Tugenden, welche nicht bloß den rechnenden Verstand beschäftigen,
sondern auch das Herz. Wäre in Bismarck nicht so viel Glaube, nicht
nur an die eigene Kraft und die Zukunft seines deutschen Vaterlandes,
sondern auch an eine gütig waltende Vorsehung gewesen, wäre nicht
unauslöschlich die Hoffnung auf Erreichung der höchsten Ziele in seiner
Seele gewesen, wäre er nicht erfüllt gewesen von so heißer Liebe zu
seinem Könige und Herrn, zu seinem Preußen, zu seinem Deutschland
— er hätte nimmer sein Werk vollbracht. Er, der große Rechner der
Wirklichkeiten und Tatsachen, er, der nüchterne, kühl überlegene Mann
der Tat, schätzte nicht minder das Unwägbare, das im Charakter ge¬
heimnisvoll Treibende, kurz die idealen Mächte. —
Man hat sein Leben — ebenso wie das Goethes — ungewöhnlich
glücklich genannt, und es ist vielleicht keinem Sterblichen mehr gehuldigt
worden als ihm, der in raschem Siegesläufe zur höchsten Stellung nicht
nur im Staate seines Monarchen, sondern im Ansehen der gesamten
Welt sich emporschwang. Aber — ebenso wie Goethe — hat er selbst
die Tage reinen Behagens auf eine kurze Spanne Zeit berechnet. Wie
löst sich der Widerspruch in der Auffassung der Menge und derjenigen
ihres glücklich gepriesenen Helden? War es die unablässige Sorge und
Mühe und Arbeit, war es das Brechen unablässiger Widerstände, der
Kampf wider Unvernunft und Haß und Neid, wider alle die kleinen und
tückischen Teufel der Mißgunst und Selbstsucht?
Wie löst also — fragen wir kurz — Bismarck das Lebensproblem,