Volltext: Für Klasse 2 (neuntes Schuljahr) und die Obertertia der Studienanstalten (Teil 8, [Schülerband])

griff man in den Fällen, in denen die altertümlichsten Bräuche fest¬ 
gehalten wurden, nicht nach den damals längst gebräuchlichen Zünd¬ 
geräten, sondern bewies durch das Herbeiholen des Feuers mitunter 
aus weiter Ferne, daß es die alte Art war, das Feuer nur durch Über¬ 
tragung zu gewinnen. So sandte bekanntlich Lemnos alljährlich ein 
Schiff nach der Insel Delos, um von da aus neues Feuer für den 
Bedarf der Insel zu holen, das dann wieder ein Jahr lang ununterbrochen 
erhalten wurde. Auf einen Maßstab für die außerordentliche Anhäng¬ 
lichkeit des Menschen alter Zeit an sein Feuer müssen wir bei dieser 
Gelegenheit kurz hinweisen, obgleich der Gegenstand an sich uns erst 
wieder bei Darstellung der Kulturfortschritte im Zusammenhange be¬ 
schäftigen wird. Seit es ein persönliches Eigentum — Waffen und 
Handgeräte — gibt, hängt der Geist, was uns nicht wundern darf, 
gerade so untrennbar an diesen wie der lebende Mensch selbst; aber 
zu wundern ist es, daß unter diese Gegenstände, von denen sich der 
Geist nicht trennen kann, auch das Feuer seines Heerdes gehört; es 
bleibt sein, oder er bleibt bei ihm nach der Uranschauung. Wenn daher 
der Geist eines Dahingeschiedenen, sei es nach eingetretenem Todes¬ 
fälle oder nachdem irgendeine Zeit menschlicher Festfreuden ihn herbei¬ 
gelockt hatte, wieder in Frieden dahingehen und zu der den Über¬ 
lebenden so sehr ersehnten Ruhe kommen soll, dann darf auch das alte 
Feuer, an dem er hängt, nicht fortbrennen. Darum verlöschte man 
es bei allen „Totenfesten", um erst wenn die gerufenen und versöhnten 
Geister wieder geschieden waren, ein neues und zwar nach ältester 
Sitte immer ein herbeigeholtes, entlehntes anzuzünden. Darum mußte 
auch das mit dem entliehenen Feuerbrande von Delos heimkehrende 
Schiff so lange auf offener See bleiben, bis das bei gelöschten Herden 
gefeierte Totenfest beendet war. 
Dies mußten wir vorausschicken, um die Art verständlich zu machen, 
in der man sich in Hellas in einem besonderen Falle, der uns 
als weiteres Velegbeispiel dienen soll, benahm. Den Fall selbst er¬ 
zählt uns Plutarch, aber schon nicht, ohne die durch ihr Alter mi߬ 
verständlich gewordenen Motive einer leichten Umdeutung zu unter¬ 
ziehen, die seither weiterzeugend für die spätere Auffassung maßgebend 
geworden ist. Die Griechen hatten die Schlacht bei Platää gewonnen, 
aber nicht ohne große Verluste — die Geister der Gefallenen schwebten 
beunruhigend, ängstigend über dem Lande. So viele Familien einem 
der Ihrigen nachweinten, so viele Herde mußten der Beunruhigung 
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