Full text: [Dritter Teil = (6. bis 8. Schuljahr)] (Dritter Teil = (6. bis 8. Schuljahr))

256 
herrlichen Strom mit seinen lachenden Ortschaften, ein Blick ans die 
frischen, heitern Gesichter, und unsre Stimmung gibt der der Winzerinnen 
nichts nach. 
Vor uns auf sanft anstrebendem Hügel in fast peinlicher Ordnung 
und in gleichmäßiger Entfernung voneinander stehen die Weinstöcke, schon 
halb der rauhen Witterung ihren Tribut zollend; zum Teil haben sie das 
Saftgrün ihres Blätterschmuckes mit einem satten Gelb vertauscht. Über 
die Weingärten hinaus ragt der zinnengeschmückte Bergfried eines mittel¬ 
alterlichen Bnrgrestes. Eine der Winzerinnen kommt uns entgegen und 
reinigt uns mit Weinblättern die Stiefel, eine Sitte, die sich in den rhei¬ 
nischen Weinbergen jeder Eindringling gefallen lassen muß; eine klingende 
Gabe scheucht sie wieder hinweg, und fröhliches Gelächter aller Winze¬ 
rinnen bekommen wir in den Kauf. Von dem Jubel der Neckenden be- 
gleitet, wandern wir hin und her auf dem Berge, hier und da zwar in 
Gefahr, unsre Fußbekleidung im erweichten Boden zu verlieren, aber heiter 
angeregt durch die wechselnden Vorträge von Liedern, in denen der Rhein 
und das rheinische Leben anmutig besungen werden. 
5. Die freudige Stimmung während des Geschäfts der Lese herrscht 
auch in den umgebenden Weinbergen vor. Aus der Nachbarschaft kommen 
Weinbergbesitzer, kosten und prüfen Trauben und Most. In den fahr¬ 
baren Wegen stehen große Bottiche, in die der Inhalt der sogenannten 
Legel entleert wird. So nennt der Winzer eine unten spitz zulaufende, 
oben breitere, elliptisch geformte Holzbütte, die an zwei festen Lederriemen 
ans dem Rlicken getragen wird und neunzig bis hundert Pfund Trauben 
fassen kann. Je nach der Örtlichkeit werden diese schweren Lasten auch 
häufig bis hinunter ins Kelterhaus geschleppt. Vorher bearbeitet der 
Legelträger mit zwei Mostkolben im Legel selbst die ganze Traubenmasse. 
Es bildet sich eine braungelbe und dunkelrote, nichts weniger als klare 
Brühe, die dann in die Bottiche geschüttet wird. An einzelnen Stellen 
werden die Trauben auch, statt in den Legeln bearbeitet zu werden, in 
einem großen Bottich von Winzern mit hüfthohen Stiefeln getreten und 
geknetet. Da die Mostbrühe nicht lange in den Bütten mit den Trauben 
zusammenstehen darf, sondern sofort vollständig bearbeitet sein will, so 
. geschieht das Geschäft des eigentlichen Kelterns häufig des Nachts. Die 
schweren Balken der Kelter treiben den Rebensaft bis auf den letzten Rest 
aus den Beeren heraus. Einladend sieht der junge Most, der nun in 
großen Fässern in den Keller gebracht wird, nicht aus; bis derselbe als 
goldheller oder dunkelroter Wein auf unsern Tisch kommt, hat er noch 
verschiedene Gärungs- und Klärungsprozesse durchzumachen. Gegen Abend 
ertönen vom rechten Rheinufer Flintenschüsse herüber, znm Zeichen, daß
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.