Full text: Lesebuch für Schlesien

170 — 
der wilden Jungen krachten die Leitern, und zwischen ihren Händen tanzten 
die Strohbündel. Hoch oben über der Tenne war von Stangen ein Gerüst 
für das Heu angebracht. Dahin kletterten die Rangen und stürzten sich 
kopfüber in die Banse, die mit dicken Strohschichten ausgepolstert war. 
Mitten im dicksten Haufen war ich, ein Bürschlein von vier Jahren, 
und die Streiche machte ich mit wie einer, ja besser! Auf der langen Gerüst— 
leiter kletterte ich bis fast unter den Dachfirst, setzte mich auf ein Strohbündel 
und wollte nun bergab reiten. „Weg da!“ schrie ich, „alleweil komme 
ich!“ und machte mich bereit, auf dem strohernen Roß dreißig Fuß in die 
Tiefe zu reiten. „Bleib oben!“ schrie mir ein älterer Bruder zu, „du fällst 
dich ja tot, so hoch herunter!“ „Weg!“ beharrte ich und gab dem Stroh— 
pferde die Sporen. Der Schwarm unten stob schreiend auseinander, als 
der Strohreiter blitzschnell daherfuhr. 
In die Banse ragten fußlang die Köpfe der Balken eines eingebauten 
Schafstalles. Die älteren Bürschlein sprangen von oben geschickt im Bogen, 
um nicht an die Balkenköpfe zu stoßen. Ich aber in meiner Einfalt auf 
dem Bündel überließ mich meiner Schwere, die mich senkrecht abwärts zog. 
Ein Krach, ein Schrei! Das Bündel flog rechts in die Banse, das Bürschlein 
links in die nackte, feste Scheunentenne. 
Alles ist plötzlich still. Ich liege so ruhig wie mein Bündel. Die 
Buben staunen, holen tief Atem, klettern zu mir nieder, reden mir zu, ich 
solle doch aufstehen, heben meinen Kopf etwas. Aber ich sage kein Wort, 
halte die Augen geschlossen wie Fensterläden in einem unbewohnten Hause, 
und ein Bächlein Blut sucht sich eine Rinne durch die Tenne. „Ach da, da! 
Blut!“ sagten die Jungen erschreckt, und etliche machten sich aus dem Staube. 
Ein dreister Nachbarssohn läuft endlich in die Stube. „Großvater!“ sagt er zu 
meinem Großvater — er hatte als täglicher Hausfreund das Recht zu dieser An— 
rede erworben —,Großvater, Fritzchen ist vom Gerüst gestürzt und liegt in der 
Scheune; 's Blut kommt, aber es tut ihm nicht weh; er sagt kein Mückschen.“ 
Großvater und Vater sitzen am Tische und schneidern. Sie lassen alles 
liegen und rennen hinaus. Ich liege noch da, wie ich gefallen bin. Das 
Blutbächlein quillt aus dem Kinn und fließt noch über die feste Scheunen— 
tenne. Die dicken Backen sind weiß wie Kalk. 
Die Buben zerren an mir herum und reden mir ängstlich zu, ich solle 
doch aufstehen, das Blut mache ja meinen Kittel voll. Wenn es der Vater 
sähe, so gäbe es Prügel genug. Für diesmal scheint Fritzchen aber nicht 
einmal die Prügel zu fürchten. Der Großvater hebt mich auf. Wie eine 
welke Blume knicke ich halb hier, halb da hin. Er nimmt mich auf den Arm; 
da hänge ich schlaff darüber wie ein ausgezogener Rock.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.