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„Der arme Junge hat sich totgefallen“ ruft mein Vater. „Und
ihr, ihr Großen, seid dabei,“ — damit packt er meine Zwillingsbrüder —
„laßt ihn klettern und wehrt ihm nicht; aber wartet!“ Und beide bekamen
eine kleine Anzahlung auf ihre Backen, daß sie in höherem Rot erglühten.
Just wie die Mäuse verschlichen sich die Buben in die Gärten und Häuser,
und totenstill lag die Scheune da.
4. Aber laute Klagen füllten die Stube. Leblos lag ich auf dem Schoße
der Mutter, die vergeblich einen Blick aus meinen Augen suchte. In die
Stube drängte sich neugierig und teilnehmend die ganze Nachbarschaft,
und jedes gab gute Ratschläge. Der Vater tauchte einen Schwamm in
warmen Birnessig und befeuchtete damit die Kinnwunde, die sich wie ein
Nebenpförtchen zum Munde aufgetan hatte. Endlich geht ein schmerz—
liches Zucken über mein Gesicht, ein Stöhnen ringt sich aus der Brust, die
Augen öffnen und schließen sich. „Jetzt, jetzt! er kommt zu sich!“ geht es
durcheinander. Starr hängen die Augen der Mutter an den Augen ihres
Lieblings. Endlich gehen sie voll auf, und ich versuche, mich zu erheben.
„Gottlob,“ seufzt die Mutter, „er lebt noch!“ Mit ihrer Hilfe richte ich
mich auf und schaue mich verwundert um. Nun wird ein ordentlicher
Verband angelegt, und munter sehe ich auf den Schwarm der Gäste. Die
äußern noch allerlei Vermutungen, wie es hätte kommen können, empfehlen
noch allerlei Mittel und ziehen dann ab.
5. Der Großvater hat schon wieder sein Nähzeug genommen. Jetzt
hebt er den Kopf und sieht nach mir; ich lache ihn fröhlich aus meinem
weißen Gesichtswall von Watte und Leinen an. Er sagt kein Wort, steht
auf, reckt den Arm nach dem Brettergesims über der Tür und zieht aus
einem Versteck ein Röhrchen ans Licht, schwank und fest, und reicht es meinem
Vater. „Er hat nicht gehorcht und muß seinen Denkzettel kriegen!“ sagt
der Alte streng zu meinem Vater.
Der Vater sah etwas unsicher bald nach der Mutter, bald nach dem
Großvater. Dann sagte er zu mir: „Komm her! du mußt folgen lernen!
Ich habe dir das Klettern auf der Gerüstleiter verboten.“ Ich klammerte
mich angstvoll an die Mutter. „Ist das nicht Denkzettel genug?“ sagte
sie leise zu dem Vater und dann zu dem Großvater; aber dieser schüttelte
mit dem Kopfe. „Gib ihn her!“ sagte mein Vater, „lieber ein totes als
ein verzogenes Kind! Entweder lernt er pünktlich aufs Wort folgen, oder
es ist sein Unglück.“ Schmerz im Gesichte, aber ohne Widerrede ließ mich
die Mutter vom Schoße gleiten. Dreimal pfiff das Röhrchen nieder; leise
wimmerte ich, dann nahm mich die Mutter wieder auf. „Nun sollen die
Großen ihren Macherlohn kriegen!“ fuhr mein Vater fort. Aus einer