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zösische Regierung dort errichtet hatte. Hier schienen sich
nun alle Wünsche Melchiors erfüllen zu wollen: die Uniform,
die reiche Kameradschaft, der Unterricht und die kriegerischen
Spiele zogen ihn mächtig an. Aber seine noch ungezügelte
Seele vermochte sich nicht an jene strenge Pünktlichkeit zu
gewöhnen, welche in solchen Anstalten bis ins kleinste gefor¬
dert wird. Fehler gegen dieselbe bewirkten seine Entlassung
aus der Anstalt, so dass er abermals ins Elternhaus zurück¬
kehren musste. Der Vater beschäftigte ihn nun auf einer
Schreibstube und stellte ihn gleichzeitig unter die Leitung
eines7 gebildeten jungen Mannes, der, mehr Freund als Leh¬
rer, ihm die Studien lieb zu machen wusste.
Inzwischen brach eine grosse, bedeutungsvolle Zeit herein.
Napoleons Glücksstern war im Sinken. Das deutsche De wulst¬
sein erwachte. Die geknechteten Völker erhoben sich. Es
war eine Zeit hoher Begeisterung, die nicht nur Knaben und
Jünglinge, Männer und Greise, sondern auch selbst Jung¬
frauen erfasste. Alles drängte sich zu den Fahnen. Wie hätte
Melchior zurückbleiben können? Bei dem Bataillon, welches
der Kreis Borken als Landwehr zu stellen hatte, trat er zu¬
nächst als Leutnant ein und ging später unter gleichem
Rangverhältnis in ein Linienregiment über. Er machte in
dieser Stellung den Feldzug nach Frankreich mit. Aber auch
das wechselvolle Soldatenleben gab seinem unruhigen Geiste
nicht die erhoffte Befriedigung. Infolge misslicher Streitig¬
keiten und anderer Vorkommnisse nahm er seinen Abschied
und kehrte zu den bekümmerten Eltern heim. Hier beschäf¬
tigte er sich nun grösstenteils mit der Jagd, trieb wohl auch
etwas Landwirtschaft, ein wenig Poesie und mitunter auch
ernstere Studien. Aber er war ohne Lebenszweck und Ziel,
und es schien ihm auch nicht der Mühe wert, dergleichen zu
suchen und zu verfolgen.
Zu dieser Zeit war es, dass Michael Sailer, damals Pro¬
fessor in Landshut, zum Besuche in die Familie Diepenbrock
eingeführt wurde. Melchior suchte anfangs den ehrwürdigen
Gast seines Vaters, gegen den er allerlei Vorurteile hegte,
durchaus zu meiden. Als Sailer das Haus betrat, ging er
hinaus und konnte nur durch viele Bitten und Vorstellungen
seines älteren Bruders Bernhard dahin gebracht werden, min¬
destens bei Tische zu erscheinen. Aber er wusste sich von
Sailer so fern zu halten, dass dieser das Wort nicht an ihn
zu richten vermochte. Gegen Ende der Mahlzeit stand Sailer
plötzlich auf, nahte sich ihm und sagte: „Lieber Melchior,