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132. Die Vögel im Winter.
Frledr. Noll.
Lustig ist das Leben der Vöogel im Sommer. Wenn aber der strenge
Winter eintritt, Eis die Flüsse und Bäche überzieht, und fußhoher Schnee
die Fluren bedeckt, dann sieht es anders aus.
Manche Vögel wußten freilich der Not zu entgehen. Storch, Schwalbe,
Wachtel, Nachtigall und noch mancher andre der gefiederten Sänger
haben uns mit Eintritt des Herbstes verlassen und sind in wärmere
Gegenden gewandert, wo kein Schnee und kein Frost sie schrecken. Aber
immer ist die Zahl der Vögel noch groß, die den Winter über bei uns
bleiben, und groß ist oft ihre Not.
Woher sollen sie auch auf den schneebedeckten Feldern Speise nehmen?
Höchstens sicht hie und da die dürre Rispe einer Melde oder die Samen—
ähre des Wegerichs aus dem Schnee hervor, und Buchfinken und
Lerchen wissen diese kleine Gabe wohl zu benutzen; denn man sieht sie
fleißig daran sitzen und picken. Der größte Teil der Vögel sucht in der
Nähe der Wohnungen, auf Landstraßen und Miststätten seine Nahrung.
Hier erblickt man ganze Scharen hungriger Krähen, die mit armseligen
Bissen ihr Leben fristen. Auch auf den Eisschollen des Flusses sieht
man sie dahinfahren, um tote Tiere oder was sonst von den Wohnungen
am Wasser mitgekommen ist, loszuhacken.
In den Gärten durchsucht die Kohlmeise die Rinde der Bäume
und die Ritzen der Häuser nach Puppen und Insekteneiern; dasselbe treibt
in den Zäunen und Hecken der Zaunkönig. Die Schwarzamsel
mit dem gelben Schnabel durchstöbert die Gebüsche nach gefrorenen
Beeren; auch der Eichelhäher, der im Sommer nur im Walde lebt,
fliegt bis in die Gärten. Baumsamen und kleine Tiere sind seine Nahrung.
Viele der kleinen Vögel kommen auf die Straßen der Dörfer und
Städte und sinden da wohl ein Bröckchen für den Hunger. Sperlinge,
die keck umherhüvfen, Goldammern, die im Sommer draußen am
Bächlein hausen, Haubenlerchen, die mit flinken Schritten zu laufen
verstehen, und einzelne Buchfinken, die es vorgezogen haben, bei uns
zu bleiben, haben sich zusammengesellt. Ihre Feinde, Sperber, Habicht
und Weihe, ziehen ihnen nach, und der Sperber holt sich oft mitten
von der Straße einen Sperling zum Frühstück.
Gar manches der armen Tierchen findet durch Hunger und Kälte
seinen Tod. Recht schön ist es daher von den Menschen, denen
es an Nahrung nicht fehlt, wenn sie im strengen Winter auch
der armen Vögel gedenken.