V. Aus der Natur.
Welt will sich vor unsern gefesselten Sinnen erschließen. Schon schmettert
vom Zweige des Obstbaumes auch der Buchfink seine kernige Strophe, die
Amsel erfüllt die duftige Abendluft mit ihrem volltönenden Gesange, bald
auch trillert die Silberstimme der zutraulichen Heidelerche ihre schwermütig
süße Weise; nicht mehr lange, und ein Sänger nach dem andern tritt auf,
bald mit bezaubernder Melodie, bald mit melodischem Rufe, und ohne Akkorde,
ohne Takte, ohne Dirigenten führen sie eine Harmonie auf, welche, wie oft
auch gehört, stets neu, stets in gleichem Maße ansprechend, unser Herz
gewinnt.
Und nun erst die süßen Flötentöne, der schmetternde Schlag, der
jubelnde Gesang der Nachtigall, wen hätte er nicht erfreut, wen nicht ent—
zückt! Ihr Gesang flutet dahin wie ein klarer, milder Strom; er steht
einzig da in seiner Art und ist unerreichbar, unnachahmlich; er wetteifert an
Innigkeit und Verständnis mit dem des Menschen und übertrifft ihn vielfach
an Fülle und Schönheit des Tones. Kein andrer Vogelgesang kann sich
mit dem Schlage der Nachtigall messen. Sie ist unzweifelhaft der herrlichste,
der gewaltigste, der ergreifendste aller Sänger.
Nicht aber ist es das Wohlgefallen an den Tönen allein, was uns so
einzig fesselt; jede neue Vogelstimme, der herrlichste Gesang wie der helle
Schlag der Wachtel, der Ruf des Kuckucks wie das Fauchen der Waldeule
tritt uns entgegen wie ein plötzlich hervorgezaubertes Naturereignis in dem
kreisenden Rade der Jahreszeiten. Die ganze Natur erscheint verjüngt, alles
ist neu, schön, frisch; unser Herz hebt sich höher und höher, wir jubeln dem
lebensvollen Lenze entgegen, begrüßen kindlich die schöne, harmlos frohlockende
Natur und müssen uns gestehen, daß der Gesang der Vögel es ist, der uns
den Fortschritt zur lieblichen Jahreszeit schärfer, plötzlicher als alles andre
um uns her zum Bewußtsein bringt. Bernh. Altum.
164. Der Fuchs.
1. Der Abend haucht aus Halm und Blatt. Die Bäume heben ihre
Wipfel regungslos in die Stille, nur die Vogelkehlen sind noch laut. Die
Drossel lockt mit hellem Ton, die Meise schlüpft, ihr Liedchen schrillend,
von Busch zu Busch; der Waldschreiner Specht hackt und hämmert
am Eichenstumpf, dazwischen kreischt der Häher, und ist dann auf einmal
alles still, so erschallt aus dem Schoße der grünen Einsamkeit das eintönige
„Hupp, hupp, hupp“ des Wiedehopfes. Reineke ist am Rande der Wald—
wiese angekommen. Er lauscht. Die Blumen neigen ihre Kelche, da und
dort summt noch eine Biene, oder ein schwer gepanzerter Käfer schweift
behaglich brummend in geschwungenem Bogen dahin.