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Aber 's Häslein hat sich jetzt
Wie ein Männlein hingesetzt,
Schaut nicht auf und schaut nicht um. —-
„Bst, wer kommt so still und stumm
Dort durch Busch und Dorn und Korn
Mit dem Stutz' und Pulverhorn?
Hu! der Jäger ist es schon;
Häslein, Häslein, spring' davon!"
's ist zu spät; cs blitzt und pufft,
Und der Rauch steigt in die Luft,
Und das Häslein liegt, o weh!
Todtgcschossen in deni Klee.
Friedr. Güll.
77. Der Wolf und das Geigerlein.
Vor nicht so gar langer Zeit gab es auch noch in unseren
deutschen Wäldern viele Wölfe, und mancher Bauer weiss noch
die Geschichte von jenem Geiger in der Wolfsgrube so gut, als
wäre sie gestern geschehen, obgleich sie ihm schon sein Grossvater
erzählt hat. Es gierig einmal ein Geigersmann von einer Kirchweih
nach Hause, auf welcher er den Leuten bis tief in die Nacht auf¬
gegeigt hatte. Das Männlein gierig ohnehin nicht gern auf dem ge¬
raden Wege und kam daher auch in dem dicken Forste, durch den
es musste, bald so weit zur Seite ab, dass es am Ende in eine
Grube fiel, welche der Jäger zum Wolfsfange gegraben hatte. Der
Schreck war schon gross genug für den Geiger, da er so ohne
weiteres von der ebenen Erde hinunter in die Tiefe fuhr, wurde
aber noch grösser, da er unten auf etwas Lebendiges auffiel, das
wild aufsprang; da merkte er, dass es ein Wolf sei, der ihn dann
mit glühenden Augen ansah. Der Mann hatte nichts in der Hand
als seine Geige, und in der Angst fängt er an, vor dem geöffneten
Wolfsrachen alle seine Stücklein aufzuspielen, die ihm aber dies¬
mal selber gar nicht lustig vorkamen. Dem Wolf musste aber
diese Musik ganz besonders schön und rührend vorkommen; denn
das dumme Vieh frerrg an überlaut zu heulen, was wohl gesungen
heissen sollte, wie bei unseren musikalischen Hunden, wenn sie
Sang und Klang hören. Die anderen Wölfe draussen im Walde,
da sie ihren Kameraden drinnen in der Grube so singen hörten,
stimmten auch mit ein, und ihr Geheul kam manchmal so nahe,
dass das Geigerlein, an welchem kaum ein einziger Wolf satt ge¬
worden wäre, geschweige zwei, jeden Augenblick fürchten musste,
es käme noch ein anderer, auch wohl ein dritter und vierter Gast
zu seinem bisschen Fleisch in die Grube herein. Unser Kapell¬
meister in der Wüste guckte indes einmal übers andere in die
Höhe, ob’s noch nicht Tag werden wollte; denn das Geigen war
ihm sein Lebtag noch nicht so lang geworden und so ganz sauer
und niederträchtig vorgekommen, als da vor dem Wolfe, und er
Wer ist's, der mich fangen kann?
Tausend Hund' und hundert Mann
Gleich will ich's mit ihnen wagen,
Soll mich keiner doch erjagen.
Und der Graf auf seinem Schloß
Hat im ganzen Stall kein Roß
Und auch keinen Reitersknecht,
Der mir nachgaloppen möcht'." —
„Häslein, nimm dich doch in acht,
Hund und Jäger schleichen sacht!
Eh' du's denkst, da zuckt es roth,
Und die Kugel schießt dich todt."