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36. Gotteslohn.
Clemens Brentano.
Ein reicher, unbarmherziger Mann hatte einen großen Ackerbau
und bestellte ihn wohl, ackerte tief, düngte reichlich, säete viel und hatte
einen starken Viehstand. Bei der jährlichen Berechnung der Ausgabe
land er aber immer Verlust statt Gewinn, und daß der Same nicht
geerntet und die Kosten verloren worden, sein Vieh mannigfach ver¬
derbte und seine Acker und Wiesen sich ganz entkräftet und unfruchtbar
befanden.
In seiner Nähe hatte ein armer Einsiedler nur ein kleines Feld,
nur eine magere Kuh, der er selbst das Gras an steilen Felsen und
in Sümpfen zusammensuchen mußte, weil er keine Wiesen hatte; doch
erntete der arme Mann iminer die Hülle und die Fülle und konnte
seinem reichen Nachbarn selbst manchmal das Saatkorn borgen. Da
fragte ihn der Reiche einst: „Sage mir, wie soll ich meinen Ackerbau
nur anstellen, daß ich zum Ertrage komme?" Und der Einsiedler
antwortete ihm: „Führe einen silbernen Zaun um deine Felder und
Wiesen, so wird Gott dich segnen." Der Reiche erwiderte: „Das
stehet nicht in meinem Vermögen, und ich will nicht wie jener Schwabe
Nadeln aussäen, daß mir ein eiserner Zaun daraus wachse." Der
Einsiedler aber sprach: „Du verstehest mich nicht; wechsele um einige
Taler Scheidemünze ein, komm damit morgen wieder zu mir, so will
ich dich lehren, den silbernen Zaun zu Pflanzen." Dieses tat der
Reiche und fand am andern Morgen von dem Einsiedler einige hundert
Arme wie einen Zaun um seine Felder gestellt, und denen mußte er
die Münze mit freundlichen Worten austeilen. Da sprachen sie alle
von Herzen: „Gott vergelte es! Gott lohne es!" Und der Einsiedler
sagte ihm: „Sieh, das ist mein silberner Zaun."
Da wurde der reiche Mann wunderbar durch die Gnade Gottes
gerührt, und zuerst erfüllte sich die Verheißung des Einsiedlers an
seinem unfruchtbarsten Acker, seinem harten Herzen; denn es entsprang
ein Quell aus diesem nackten Felsen, und Tränen der Liebe stossen
reichlich von seinen Wangen. Aber auch seine Felder und Wiesen
Prangten bald in überschwenglichem Segen, er konnte seinen silbernen
Zaun immer dichter und reicher machen, und er >vard bald so mild
und selig, daß er in jedem Armen unseren Herrn selbst zu sehen
glaubte und so endlich die Liebe Gottes als eine silberne Mauer um
Hab und Gut führte, daß ihn die Engel, als er selbst geerntet wurde,
im Schutze des Himmels fanden und zu dessen Freuden ihn eintrugen.
Teutsches Lesebuch. Ausgabe v. V. Teil 5>. Auflage.
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