Full text: [Teil 6, [Schülerband]] (Teil 6, [Schülerband])

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während er dich nur mit schweigendem Unmut betrachtete! O, hätte 
ich dich zu erschaffen gehabt, ich hätte dir ein prächtigeres Kleid ge— 
geben! Aber es steht in meiner Macht, dich über alle deine Schwestern 
zu erheben und dich zur Königin der Blumen zu machen.“ 
Die Schlange hatte mit diesen Worten das Gift des Neides und 
der Eitelkeit in das Herz der Lilie gegossen. Unaufhaltsam durchdrang 
dessen Glut ihre Glieder und verwandelte ihre Bescheidenheit in hof— 
färtige Begier, und sie schaute umher und verglich sich mit ihren 
Schwestern und fühlte sich zum ersten Mal verletzt von der Schönheit 
der Rose, von dem Glanze der Tulpen und der Farbenpracht der 
Anemonen. In bitteren Worten machte sie ihrer Unzufriedenheit Luft, 
so daß ihre Wangen glühten in den Flammen des Hochmuts und des 
Neides, und sie bat schließlich die Schlange, auch ihr die Farbenpracht 
der anderen Blumen zu verleihen. 
„Schau in den Quell zu deinen Füßen!“ antwortete diese mit 
heimlicher Schadenfreude, „was du erbeten, ist bereits geschehen.“ Bei 
diesen Worten entschwand sie mit satanischer Freude über den Triumph 
des gelungenen Verderbens. 
Die einst schneeweiße Lilie aber, als sie ihr Antlitz zum spiegeln— 
den Quell niederbog, sah sich als — rotgelbe Feuerlilie. Als solche 
blüht sie nun fort in den Thälern und Gärten der Menschen, weniger 
zur Freude und zur Zierde, als vielmehr zur bedeutungsvollen Warnung 
und ernsten Belehrung. Bonhorst. 
195. Die Baumwolle. 
Die Baumwolle kommt von einer Pflanze, die mit unseren Malven 
nah verwandt ist. Die Größe dieser Pflanze ist sehr verschieden. 
Bald ist sie ein kleiner Strauch, bald ein 3bis 4 m hoher Baum. 
Wildwachsend findet man sie in Ost- und Westindien, sowie auch 
im Innern Afrikas. Die Wiege der Baumwollenkultur ist Indien, 
und noch jetzt erzeugen Indien, China und Japan viel Baumwolle. 
Am meifsten aber wird sie an den Ufern des Mississippi angebaut. 
In Europa, gedeiht die Baumwolle in Spanien, Süditalien und 
der Türkei. 
Im Juni blüht der Strauch. Aus den ziemlich großen, gelben 
Blüten entwickeln sich im Juli runde Kapseln von der Größe einer 
Walnuß. In derselben sitzen fast erbsengroße Kerne mit einer 
langen, meist schneeweißen Wollperücke. Bei völliger Reife springen 
die Kapseln mit lautem Knalle auf, und aus den Spalten quillt 
die weiße Wolle hervor. In den Baumwollfeldern werden jedoch 
die Kapseln gepflückt, ehe sie aufspringen. Hierauf zerdrückt man 
sie durch Maschinen, reinigt die Wolle von den Samenkernen und ver— 
packt sie in gewaltige Ballen, um sie so in die großen Fabriken zum 
Spinnen und Weben zu bringen.
	        
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