19.
9
heiße ich einen Hunger! Wenn das den Tag so fortgeht, so kann er was
zusammenbringen.
2. Dort sitzt ein anderer auf dem Pfahle am Wege und verdaut
wahrscheinlich seine genossene Mahlzeit. Er ist sehr vorsichtig und läßt
nieinand nahe kommen; denn die Raben sind für ihr Leben gar sehr
besorgt. Ei, was für eine Stimme der hat! Schön ist sie nicht, das
könnte ich nicht sagen, aber laut ist sie, daß einem die Ohren gellen.
3. Nun, was ist das für ein Geschrei mit einem Male, und wo ist
die Menge der Raben so plötzlich hergekommen? Ist ein Streit aus—
gebrochen? Die Burschen sind ja toll und wütend und fliegen wie besessen
umher! Ein Raubvogel verursacht den Lürm. Ein Glück für ihn, daß
er so hoch fliegen kann, und daß seine Feinde ihm nicht so hoch nach—
folgen können. Hui, wie sie grimmig auf ihn losschießen und ihm eins
zu versetzen suchen! Er weicht aber geschickt aus. Jetzt ist der Zorn
abgekühlt, und sie zerstreuen sich nach und nach.
4 In die Gipfel hoher Bäume bauen die Raben das Nest aus
Reisern, Baumwurzeln, Dornzweigen und füttern es mit Moos, Federn
und Haaren aus. Da hinein legen sie drei, vier, fünf grünliche, braun—
gefleckte Eier. Kommt der Winter, so machen sie Besuche in Dörfern und
Städten, nicht aber, um sich nach dem Befinden der Einwohner zu
erkundigen, sondern um etwas für ihren Magen zu holen. Schlachtet
ein Bauer, so zeigen die Raben eine große Teilnahme an diesem Greignisse.
Können sie keinen Bissen erwischen, so ergötzen sie sich wenigstens am
Geruch; denn riechen können sie, obgleich ihre Nasenlöcher mit Borsten
verdeckt sind. Mit dem Frühjahr ziehen sie wieder ab, ohne Abschied zu nehmen.
232. Der Wettlauf zwischen Hasen und Igel.
Ludwig Bechstein.
1. Diese Geschichte ist ganz lügenhaft zu erzählen, Jungen, aber wahr
ist sie doch; denn mein Großvater, von dem ich sie habe, pflegte immer,
wenn er sie erzählte, dabei zu sagen: „Wahr muß es doch sein, meine
Söhne, denn sonst könnte man sie nicht erzählen.“ Die Geschichte aber
hat sich so zugetragen.
Es war einmal an einem Sonntagmorgen in der Herbstzeit, just als
der Buchweizen blühte. Die Sonne war goldig am Himmel aufgegangen,
der Morgenwind ging frisch über die Stoppeln, die Lerchen sangen in der
Luft, die Bienen summten in dem Buchweizen, und die Leute gingen in
ihren Sonntagskleidern nach der Kirche, kurz, alle Kreatur war vergnügt,
und der Swinegel auch.
Der Swinegel aber stand vor seiner Tür, hatte die Arme überein—
ander geschlagen, guckte dabei in den Morgenwind hinaus, trällerte ein
Liedchen vor sich hin, so gut und so schlecht, als es nun eben am lieben
Sonntagmorgen ein Swinegel zu singen vermag. Indem er nun noch so
halbleise vor sich hin sang, fiel ihm auf einmal ein, er könne wohl,