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eine leise Trauer ihr Wesen zu einer sanften Schwermuth stimmte.
Schmerzhaft traf es sie, wenn der Vater oder ihr Mann von den
Zigeunern und Schelmen sprachen, die im finstern Grunde wohnten. Oft
wollte sie sie vertheidigen, die sie als die Wohlthäter der Gegend kannte,
vorzüglich gegen Andres, der eine Lust im eifrigen Schelten zu finden
schien; aber sie zwang das Wort jedesmal in ihre Brust zurück. So
verlebte sie das Jahr, und im folgenden ward sie durch eine junge
Tochter erfreut, welche sie Elfriede nannte, indem sie dabei an den
Namen der Elfen dachte.
Die jungen Leute wohnten mit Martin und Brigitte in demselben
Hause, welches geräumig genug war, und halfen den Eltern die aus¬
gebreitete Wirthschaft führen. Die kleine Elfriede zeigte bald besondere
Fähigkeiten und Anlagen; denn sie lief sehr früh und konnte Alles
sprechen, als sie noch kein Jahr alt war; nach einigen Jahren aber war
sie so klug und sinnig und von so wunderbarer Schönheit, daß alle
Menschen sie mit Erstaunen betrachteten, und ihre Mutter sich nicht der
Meinung erwehren konnte, sie sehe jenen glänzenden Kindern im Tannen-
grnnde ähnlich. Elfriede hielt sich nicht gern zu andern Kindern, sondern
vermied bis zur Aengstlichkeit ihre geräuschvollen Spiele und war ani
liebsten allein. Dann zog sie sich in eine Ecke des Gartens zurück und
las, oder arbeitete eifrig am kleinen Nähzeuge; oft sah man sie auch wie
tief in sich versunken sitzen, oder in Gängen heftig auf- und niedergehen
und mit sich selber sprechen. Die beiden Eltern ließen sie gern gewähren,
weil sie gesund war und gedieh; nur machten sie die seltsamen, verstän¬
digen Antworten und Bemerkungen oft besorgt. „So kluge Kinder,"
sagte die Großmutter Brigitte vielmals, „werden nicht alt; sie sind zu
gut für diese Welt; auch ist das Kind über die Natur schön und wird
sich auf Erden nicht zurechtfinden können."
Die Kleine hatte die Eigenschaft, daß sie sich höchst ungern von
Anderen bedienen ließ. Alles wollte sie selber machen. Sie war fast immer
am frühesten auf int Hause und wusch sich sorgfältig und kleidete sich
selber an. Eben so sorgsam war sie am Abend; sie unterließ nie, Kleider
und Wäsche selbst einzupacken, und ließ durchaus Niemanden, auch die
Mutter nicht, über ihre Sachen. Die Mutter sah ihr in dieser Eigenheit
nach, weil sie sich Nichts weiter dabei dachte; aber wie erstaunte sie, als
sie sie an einem Feiertage zu einem Besuche auf dem Schlosse mit Gewalt
umkleidete, so sehr sich auch die Kleine mit Geschrei und Thränen dagegen
wehrte, und an ihrer Brust, an einem Faden hangend, ein Goldstück
von seltsamer Form antraf, welches sie sogleich für eins von jenen
erkannte, deren sie so viele in dem unterirdischen Gewölbe gesehen hatte.
Die Kleine war sehr erschrocken und gestand endlich, sie habe es im
Garten gefunden, und da es ihr sehr Wohlgefallen, habe sie es so emsig
aufbewahrt; sie bat auch so dringend und herzlich, es ihr zu lassen,
daß Marie es Widder auf derselben Stelle befestigte und voller Gedanken
mit ihr stillschweigend zum Schlosse hinauf ging.
Seitwärts vom Hause der Pachterfamilie lagen einige Wirthschafts¬
gebäude zur Aufbewahrung der Früchte und des Feldgeräths, und hinter
diesen befand sich ein Grasplatz mit einer alten Laube, die aber kein
Mensch jetzt besuchte, weil sie nach der neuen Einrichtung der Gebäude
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