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Zwei Hälften machen zwar ein Ganzes; aber merk: aus halb und halb getan
entsteht kein ganzes Werk. (ör. Rückert) — Man kann viel, wenn man sich nur viel
zutraut. Wilh. v. Humboldt.)
Der gute Wille ist die beste Tat für den,
der anders nicht zu geben hat.
(Spruch von Freidank.)
Der Fleiß hat sieben Heute,
die Faulheit sieben Morgen;
merkst du, was das bedeute,
so wahrst du dich vor Sorgen.
Man lebt nicht zweimal, und wie groß
ist deren Zahl,
die leben auf der Welt auch einmal nicht einmal!
(Fr. Rückert.)
Im Lernen bleibe Lehrling,
im Schaffen Meister.
100. Verschobene Arbeit.
Der Aufschub ist der ärgste Dieb der Zeit. CLavater.)
Es gibt einen Hauskobold von sehr bösartigem Wesen, der heißt:
Verschobene Arbeit. Hat man ihn eingelassen, so ist er schwer wieder
fortzubannen. Man weiß wohl, wo er sitzt, sei es im Garten oder in
der Scheune oder im Keller oder in einem Schrank, aber man scheut sich
so sehr vor ihm, daß man am liebsten gar nicht sich nach ihm umsieht,
und fällt es einem ein, daß er da ist, so pfeift man wohl ein Liedchen,
um sich auf andere Gedanken zu bringen. Und doch ist dieser Hauskobold
überaus schädlich, verdirbt den Hausrat, zerfrißt die Kleider und nimmt
dem Tagewerk den Segen. Mit Sprüchlein und Kräutern ist nichts gegen
ihn zu machen. Abwarten, ob er vielleicht von selbst geht, ist unratsam;
denn je länger er bleibt, um so größer und unangenehmer wird er. Nur
eins hilft: Man muß dreist auf ihn zugehen, ihn kräftig anpacken und
ihn eins, zwei, dreil aus dem Haus werfen.
(Joh. Trojan, Für gewöhnliche Leute.)
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101. Von der Unpünktlichkeit.
Die Innehaltung vorgeschriebener Lieferfristen ist eines der vielen
Kreuze aus dem Leben des Handwerkers. Zeit ist Geld heute mehr denn
je, und das Getriebe des modernen Lebens ist so eingerichtet, daß meist
alles ins Stocken gerät, wenn irgend ein Rädchen in der Maschine nicht
zur vorgeschriebenen Zeit um das vorgeschriebene Stück weiter rückt. In
der gemächlichen und gemütlichen Zeit der geschlossenen Stadtwirtschaft
kam's nicht darauf an, wenn irgend eine bestellte Arbeit länger auf sich
warten ließ, als vorausgesehen war. ‚Gut Ding will Weile haben!“ war
die Entschuldigung, die man gab und gelten ließ. Das ist heute anders
in der Zeit der Kapitalwirtschaft, in der nichts so sehr gefürchtet ist wie
die unfruchtbare Festlegung des Kapitals, in der es sich immer wieder
darum handelt, jedes engagierte Kapital so schnell und so oft als möglich
umzusetzen. Jeder Bau, jedes Unternehmen, jeder Betrieb, ja jede Ware
stellt einen solchen Kapitalwert dar; jede Verzögerung in der Fertigstellung
bedeutet eine Einbuße an Kapital, das sich so lange um seinen eigenen
Zinswert vermindert, als der Bau nicht bewohnt, das Unternehmen nicht
in Gang gesetzt, der Betrieb nicht eröffnet, die Ware nicht verkauft werden
kann. Jede Unpünktlichkeit lähmt aber meist den Gesamtfortschritt aller
Arbeiten, und derjenige, der durch Unpünktlichkeit die Eröffnung irgend
eines Betriebes verzögert, trifft heute seinen Arbeitgeber an der empfind—