Full text: Von der Entstehung eines selbständigen deutschen Reichs bis zu Karl V. 843 - 1519 (Theil 2)

Soziale Zustände. Das Lchnswefen. Das Rittertum. 
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dahin wohl die kleineren freien Grundbesitzer). Ein Mitglied der 
Lehnsaristokratie, ein „Lehnsmann" oder „Vasall", wenn auch nur 
der eines Vasallen, vollends aber der des Königs zu sein, galt in 
den Augen Vieler für ehrenvoller, als die Stellung eines einfachen 
freien Grundbesitzers.*) So kam es, daß je mehr und mehr der 
Stand der einfachen Freien verschwand, indem seine Mitglieder ent¬ 
weder in jene Lehnsaristokratie Aufnahme suchten und fanden, oder 
in die Klaffe der Hintersassen eines größeren Grundherrn hinabsanken. 
Ganze freie Banerngemeinden erhielten sich zuletzt fast nur noch 
in den Urkantonen der Schweiz, im westlichen Holstein (die 
Dithmarsen) und in Westfalen.**) 
Einen bedeutenden Zuwachs erhielt die Lehnsaristokratie irnrch 
zwei iu dieser Periode hervortretende besondere Gesellschaftsklassen, 
Me Ministerialen und die Ritter. Das Wort „Ministerielle" 
begriff die gesamte persönliche Dienerschaft des Königs oder eines 
Großen, die hohe wie bic niedere, die von Hans ans freie wie die 
von Haus aus unfreie. Von dieser Dienerschaft ging nun meist ein 
Teil (auch manche von Haus aus Unfreie) durch Verleihung eines 
Lehens seitens des Herrn in das Verhältnis von Vasallen über. 
Die Ritter, d. h. die, welche sich berufsmäßig dem Kriegerstande 
widmeten, hielten sich auch natürlich gern zu irgend einem Großen 
als bessert Dienstmannen. Auf bic Abstammung ward dabei anfäng¬ 
lich nicht gesehen. Sie traten erst bei einem andern Ritter als 
„Knappen" ein; hatten sie als solche ihre Lehrzeit bestanden und sich 
bewährt, so erhielten sic den „Ritterschlag" ober bie Umgürtuug mit 
*) Der Gegensatz des auf seine Unabhängigkeit stolzen Freien und des im 
Glanze eines Höheren, dem er bient, sich sonnenden Vasallen läßt sich nicht treff¬ 
licher schildern, als dies in Schillers „Tell" geschieht in jenem Zwiegespräch des 
alten Attinghaujen mit seinem Neffen Rndenz. Da dasselbe ans bem Anfange 
bes 14. Jahrhnnberts, st'fo nur um wenig später als unsre Periode bcitiert, so 
kann es als ein getreues Bilb des schon in dieser herrschenden Geistes dienen. 
Rndenz: „Wie? Jst's nicht eine rühmlichere Wahl, 
Zu huldigen bem königlichen Herrn, 
Sich an sein glänzenb Lager anzuschließen, 
Als zu Gericht zu sitzen mit bem Bauer?" 
Attinghaujen: „Geh' hin, verkaufe beiue freie Seele! 
Nimm Laub zu Sehen, werd' ein Fürstenknecht! 
Da Du ein Selbstherr sein kannst und ein Fürst 
Auf Deinem eignen Erb' unb freien 23oben!" 
**) Ein prächtiger Typus biefer letztem ist ber „Hosschulze" in Jmmermanns 
„Münchhausen'.
	        
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